Das Wiedersehen von ihm und mir geschah im Sommer. Die breiten Korridore der Universität hatten in den vergangenen Monaten kein bisschen Staub angesetzt. Alles war augenscheinlich beim Alten geblieben, und doch fühlte sich jeder meiner Schritte an, als setzte ich Fußabdrücke in frisch gefallenen Schnee. Beim Anblick der großen Fenster des alten Gebäudetrakts, die beim Öffnen naturgemäß nach wie vor knarrten, schalteten meine Gedanken in den Rückwärtsgang, zu meinem eigenen, wesentlich kleineren Schlafzimmerfenster und einer längst vergangenen Zeit. Ich lag noch im Bett, als er den Vorhang zur Seite schob, hinausschaute und über die Sonnenstrahlen staunte, als sähe er sie zum ersten Mal. Ich wusste, dass unser Tag irgendwann finster würde – doch ich mochte sein Licht.
Schnell fing ich mich und schleppte meine Gedanken zurück ins Hier und Jetzt, als wären sie ein Sack voll Lösegeld. Ich merkte, dass auch er sich in der Zeit, die erst langsam und dann unbeschreiblich schnell vergangen war, äußerlich wenig verändert hat. Sein Gang war immer noch von Leichtigkeit gezeichnet, sein Winken heiter, wenn auch etwas scheu, und der Blickkontakt mit mir eher flüchtig. Kurz ist der Weg von der Bibliothek zur Garderobe, doch er hörte, wie immer, Musik. Ich erinnere mich, dass er mir einst eine Playlist mit meinem Namen erstellt hat, die er mir immer dann zeigte, wenn wir uns trafen, und deren Songtexte wir manchmal zusammen mitlasen. Und ich denke an jene Nacht zurück, in der ich ihn mit tränenerfüllten Augen in den Armen hielt und spürte, dass das echt war. Ich wusste, dass unser Countdown kontinuierlich im Hintergrund tickte – doch in seiner Stille hörte ich ihn nicht.
Heute frage ich mich oft, ob er die Playlist gelöscht, ob er sie umbenannt hat oder ob sie als unverändertes Relikt in seiner Musikbibliothek verweilt. Ich weiß es nicht und wage nicht zu vermuten, denn wenn ich eine Sache aus der Sache mit ihm gelernt habe, dann ist es, in der Gegenwart zu bleiben, solange es geht. Nicht in der Vergangenheit, am Anfang unseres schleichenden Endes, als ich ihm nachtrug, was er tat, und ihn vermisste wie ein kleines Kind. Und nicht in einer potenziellen Zukunft, in der ich im Korridor stehenbliebe und ihm mehr zu sagen hätte als ein einfaches Hallo. So sehe ich ihm im Vorbeigehen nach, den schwarzen Pullover musternd, der für mich zu ihm gehört, wie meine Tätowierungen zu mir. Ich denke daran, dass meine Haare mittlerweile brennend rot sind, dass ich mein Zuhause seither dreimal umgestaltet habe und dass er nach mir suchen wird an einem Ort, an dem ich nicht mehr bin. Ich weiß, dass wir ein Ablaufdatum hatten – doch so süß war unsere genießbare Zeit.
© Jasmina Cavkunovic 2020-09-10