Klingeln, Begrüßung, Eintreten und Kompressionsstrümpfe anziehen, am besten noch ein wenig Smalltalk und nach dem Befinden erkunden und dann gehen. Dafür werden etwa drei Minuten angesetzt. Wer schon einmal Kompressionstrümpfe angezogen hat, in der häuslichen Pflege, wird mir zustimmen, dass Reden nicht die einfachste Sache dabei ist. Schon gar nicht, wenn es kein Anziehhilfe gibt und man den Strumpf irgendwie das Bein hochbekommen muss. Es gibt Handgriffe, die dabei helfen, aber enger Strumpf bleibt enger Strumpf. Ich schaffe es nie in drei Minuten. Die Gebührenvereinbarung der Krankenkassen sagt jedoch: Kompressionstrümpfe anziehen, zwei Gliedmaßen ca. 5 Euro. Der Faktor Zeit liegt uns allen im Nacken. Jeder Fehler, jede unvorbereitete Situation und kranke Kollegen kosten uns Zeit. Zeit steht in Relation zur Wirtschaftlichkeit, wenn ich „trödle“ nimmt mein Chef weniger ein. Pflege soll individuell sein, gleichzeitig wirtschaftlich und am besten mit so wenig Personal wie möglich. Im Pflegeheim habe ich den Druck meistens in der morgendlichen Waschrunde wahrgenommen. Dieser Begriff stört mich bereits beim Aufschreiben, aber nichts anderes ist es letztendlich, weil es effektiv ist. Von Individualität hat es nichts. Die eingefahrenen Strukturen brechen nur langsam auf. Die ersten Klienten werden Abends beim Duschen unterstützt, doch ich erwähne es gerne ein weiteres Mal: Wenn der Generationenwechsel vollständig ankommt in der Pflege, dann haben die Klienten andere Erwartungen an den Beruf, an den Standard, an die Qualität und wir sind immer noch veraltet. Kurz vor Feierabend taucht die neue Welle von Druck aufgrund von fehlender Zeit auf, denn die Dokumentation des Tages muss noch erfolgen. Doch die größte Präsenz von fehlender Zeit zeigt sich in den ungeplanten Situationen. Es war ein ganz normaler Morgen und ich war zum ersten Mal auf einer neuen Station, mit Bewohnern, die ich noch nicht aus der Waschrunde kannte. Ihr erinnert euch eventuell an meine Aussage, wenn es komisch riecht, dann..? Es war genau so ein Morgen. Ich betrat das Zimmer und vor mir stand in Gänze entblößt eine Bewohnerin über und über mit Stuhlgang beschmiert. Das Bett, der Nachttisch und vom Bad kaum zu schweigen. Neben der Tatsache, dass ich die Bewohnerin nur noch duschen konnte und in dem Zimmer eine Grundreinigung durchführen musste, hatte ich die Zeit im Nacken. Bettbeziehen, Schränke Abwischen und desinfizieren, Boden reinigen, Bad säubern und gleichzeitig nicht gestresst wirken und aufnahmefähig bleiben für das morgendliche Gespräch. Im Hinterkopf die anderen Bewohner, die Küchenaufgaben und die Kollegin, die nicht erfreut war, dass ich direkt zum Anfang der Schicht hinterher hing. Es ist nicht immer Stuhlgang, der für Verzögerung sorgt. Auch Scham spielt eine große Rolle. Ein Bewohner schafft es manchmal Nachts nicht rechtzeitig zur Toilette und es landet im Bett. Für mich ist es eine Kleinigkeit und mein Alltag. Der Betroffene braucht an solchen Morgen länger. Er schämt sich, ist aufgewühlt und verweigert die Zusammenarbeit. Geduldig und einfühlsam sein und ruhig bleiben fordert also an dieser Stelle die Zeit. Zeit ist eine subjektive Wertung dieser Tage. Oft wünsche ich mir mehr Zeit und Raum für Gespräche in meinem Beruf, weil ich es schade finde, wenn meine Kommunikation mit Klienten doch allzu oft bei der Körperpflege hängen bleibt.
© Frederike Fischer 2023-08-30