Frauenfamilie

Helga M. Stadler

von Helga M. Stadler

Story

Frauenfamilie. Ich weiß nicht, ob es diesen Begriff überhaupt gibt. Ich weiß auch nicht (mehr), wann ich diesen Begriff das erste Mal gehört habe oder auch nur für mich selbst kreierte. Das einzige, was ich sicher weiß, ist, dass er perfekt meine Familie beschreibt! Frauen, Mittelpunkt und Oberhaupt ihrer Sippschaft, Frauen, die die Geschicke von Familienverbänden und Clans über Jahrzehnte lenken und dominieren. Auch in meiner Familie waren es immer die weiblichen Mitglieder, die einer Sonne gleich, von außen, Wärme und Licht, wie auch Schatten und Dunkelheit über das Familien-Universum brachten.

Schon als kleines Mädchen – ich habe eine ältere Schwester, ein Stammhalter blieb meinen Eltern verwehrt – lauschte ich fasziniert den Erzählungen meiner Großmütter, Großtanten und Cousinen, wenn sie – meist unter vorgehaltener Hand – über „Berühmtheiten“, schwarze Schafe und außergewöhnliche Vertreterinnen in unserer Ahnengalerie berichteten. Obwohl ich diese nie persönlich kennenlernen konnte oder durfte, waren sie mir in unerklärlicher Weise trotz allem nahe, als Freundin, Vorbild oder Mahnung.

Da ist die vielzitierte „Baronin“, kurzzeitiges Amüsement eines Barons (daher der Name), die in den 20iger Jahren des früheren Jahrhunderts, obwohl mehrfach verheiratet, einige jüngere Geliebte aushielt und nach einem bewegten Leben als typische Wiener Hausbesitzerin ihren Ruhestand genoss. Eine echte Lebefrau!

Zutiefst verängstigend, und das bis heute, hingegen die Schilderungen über die Erlebnisse des Zweiten Weltkrieges und unter welch´ unmenschlichen Bedingungen Frauen für sich, ihre Kinder und ihre Liebsten über sich selbst hinauswachsen mussten. Von Hunger, schweren Erkrankungen ohne medizinische Hilfe, illegalen Abtreibungen und Übergriffen durch russische Besatzungssoldaten war die Rede. Für meine und die nachfolgenden Generationen heute unvorstellbar!

Auch meine beiden Großmütter waren starke, selbstbewusste und vor allem unangepasste Frauen ihrer Zeit! Fanny, die eine, heiratete gegen den Willen der Familie und „unter ihrem Stand“ ihre große Liebe und wurde dafür ihr Leben lang mit Ausgrenzung bestraft. Meine Großmutter väterlicherseits, Anna, hingegen, ertrug die Untreue ihres Ehemannes nicht länger und trennte sich zu einer Zeit, in der Scheidungen absolutes Tabu waren, von ihm. Trotzdem leitete sie noch jahrelang mit ihrem Ex-Mann, meinem Großvater, einen Betrieb. Meine Mutter führte diese Familientradition fort. 1962, gerade volljährig, verließ sie ihr Elternhaus und heiratete heimlich. Erst dreißig Jahre später, noch rechtzeitig, kam es zur Aussöhnung. Eigensinnig, selbst bestimmt und auf Augenhöhe führte sie 50 Jahre eine schwierige Beziehung mit meinem Vater. Auch heute, 80-jährig, ist Unabhängigkeit und Selbstbestimmtheit das wichtigste für sie! Mögen wir, ihre Töchter und ihr geliebtes Enkelkind, würdige Vertreterinnen unserer Frauenfamilie sein!

© Helga M. Stadler 2020-03-08

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