Unsere Grauzone

Dimitrios Meletis

von Dimitrios Meletis

Story

Vor einer Viertelstunde schon hätte er durch die Tür des Cafés spazieren sollen. Er hat uns versetzt, dachte ich, hat also doch kalte Füße bekommen. Dabei war eine Viertelstunde eigentlich gar nichts. Als ich klein war, waren es schon mal vier Stunden geworden, die Papa mich warten ließ. Aber heute war kein normaler Tag, an dem er mich abholen würde, damit wir gemeinsam ins verrauchte Billardcafé fahren. Heute saß mein Freund neben mir, mit dem ich schon ein halbes Jahrzehnt mein Leben teilte; Papa hatte endlich eingestimmt, ihn kennenzulernen. Lange hatte er davon absolut nichts wissen wollen. Dass ich schwul war, akzeptierte er ja mittlerweile, aber wenn er erst meinen Partner traf, konnte er Bekannten im Dorf nicht mehr erzählen, ich wäre einfach ein ulkig-liebenswürdiger Ewig-Junggeselle mit unerreichbaren Frauenansprüchen.

„Er parkt ein“, flüsterte ich, woraufhin mein Freund und ich virtuoses Synchron-Herzrasen hinlegten. Als Papa eine halbe Minute später seinen Blick durchs Café schweifen ließ, vergaß ich zu atmen. Bis er uns fand – und lächelte. Jetzt gab es für niemanden mehr ein Zurück. Bevor Papa den Tisch erreichte, standen mein Freund und ich auf. Der erste Test war die Begrüßung, ganz generell oft eine peinliche Sache, doch Papa gab selbstsicher nicht nur mir die obligatorischen zwei Bussis links und rechts, sondern auch meinem Freund, und das ohne zu zögern. Noch nie sah ein Mensch mehr aus wie das Rauch-steigt-aus-dem-Kopf-auf-Emoji als ich in diesem Moment.

Und dann erzählte Papa Geschichten über sich, die spannend und lustig waren und die ich selbst noch nicht kannte, und in diesem Sakko und mit graumeliertem Bart erinnerte er mich an George Clooney, wenn er zwischendrin einen Schluck seines Kaffees nahm und mit seinen Augen zuhörte. Meinem Freund stellte er interessiert Fragen, eine nach der anderen, als hätte er in seinem Leben noch nie etwas anderes getan. Nichts daran war unecht oder bemüht, und langsam setzte mein Atem wieder ein, selbst wenn mein Gehirn nicht verarbeiten konnte, was hier passierte. Man möchte denken, acht Jahre wären genug Vorbereitung gewesen für diesen letzten Sprung am Weg von „du wirst das verdrängen, darfst es niemandem sagen, wirst dich zwingen müssen, eine Frau zu heiraten“ zu „dein Papa lernt deinen Freund kennen“, aber für einen Weg, den andere ihr Leben lang nicht wagen, sind acht Jahre ein Blinzeln.

„Lieber Kerl!“, sagte mein Papa, als mein Freund am Klo war, und „Ich bin froh, dass du mir das gesagt hast. Manche trauen sich das ihr Leben lang nicht und leiden“ und „Es tut mir leid, dass ich euch noch nicht gemeinsam ins Dorf kommen lassen kann … du weißt, die Leute“, und wie die Milch mit seinem Kaffee vermischten sich unaufhörlich sein Schwarz und mein Weiß. Nie hätte ich mir vorstellen können, wie schön so eine Grauzone sein kann.

 „Jetzt kennen wir uns, jetzt ist mal ein erster Schritt getan!“, meinte Papa bei einer herzlichen Verabschiedung. Nein, nicht ein Schritt war getan. Der Schritt war getan. Ich glaube, man ist nicht einfach so Papa, wenn ein Kind auf die Welt kommt, man muss es erst werden. Mein Papa wurde es an diesem Tag.  

© Dimitrios Meletis 2023-08-28

Genres
Romane & Erzählungen
Hashtags