von Pretulia
Der Tag begibt mit einem blutroten Himmel über dem Berg, den ich von meinem Balkon aus sehen kann. Ein Kondensstreifen machte mit einem Strich ein Muster in diese abstrakt anmutende Malerei.
Inspiriert von zahlreichen Storys über Vergänglichkeit und Sterben gehe ich am späten Nachmittag los. Mein Ziel ist der sogenannte Heldenfriedhof. Dieser liegt auf einem Hügel am Rande des Dorfes. Steil ist der Aufstieg, dauert aber nur einige Minuten. Eine niedrige Steinmauer umgrenzt den Friedhof. Ein zwei Meter hohes, überbreites, zweiflügeliges Holztor führt hinein. Ganz oben auf der Mitte eines Türpfeilers befindet sich ein schwarzer Soldatenhelm. Über einen weiß geschotterten Weg führt das letzte Stück des Hügels hinauf. Rechts und links reihen sich schlichte Holzkreuze. Ganz oben sind in einem Kreis die letzten Kreuze angebracht. Auf einem dieser Kreuze steht auch der Name des Onkels meiner Mutter. Oberstleutnant Franz G. gefallen am 4.10.1944.
Auf jedem Kreuz stehen jeweils immer zwei Namen. Davor ihre Dienstgrade. Pionier, Leutnant, Jäger, Oberstleutnant, Wachtmeister, Soldat, Gefreiter, Matrose, gefallen oder vermisst in Russland, Italien, Ungarn, Frankreich, Schlesien, Rumänien, Litauen, Deutschland, Jugoslawien, Insel Kreta, Nordatlantik.
Wie viel Leid, Kummer und Schmerzen hinter all diesen Namen steht. Gefallen, ein viel zu schönes Wort. Verreckt, erschossen, zerfetzt, verhungert, zu Tode gequält, das ist die Sprache des Krieges.
Eine wunderschöne Lage hat dieser Friedhof. Von hier oben überblickt man das ganze Dorf. Ich lege mich neben die Kreuze auf den Hügel ins Moos. Man kann einzelne Autos fahren hören, Sägegeräusche, das Bellen eines Hundes und die Kirchturmglocke. Das alles ist aber wie in Watte gepackt.
Obwohl Ende Oktober ist es wunderbar warm und das Moos weich und trocken. Ich schließe die Augen. Lange liege ich so. Durch meine geschlossenen Augen sehe ich die gleißenden Farben der Sonne in orange, rot, gelb, weiß und spüre ihre Wärme. So könnte hinübergehen sein. Losgelöst und glücklich. Ich spüre eine intensive Verbindung zu den Toten hier, die aber für mich nicht tot sind. Sie wurden lediglich zu Staub. Aber ihr Geist ist frei, kennt keine Schmerzen, Mauern oder Hindernisse, sondern ist nur reine Glückseligkeit.
Die Sonne macht sich schon langsam bereit, um hinter den Hügeln zu verschwinden. Zeit wird es für mich aufzustehen und in die Welt zurück zu kehren.
© Pretulia 2022-10-29