Die Geräusche der nahen Seeschlacht drangen, bis weit über das Wasser. Sie sprang über die letzten Hindernisse – und blickte über die Schulter. Sie hatte die Verfolger abgehängt. Mit einem geschickten letzten Sprung verschwand sie unauffällig im Geheimversteck. Mit laut klopfendem Herzen wartete sie in der Dunkelheit. Hatte sie wirklich niemand gesehen…?
«Maja! Michelle! Essen!» Die beiden Schwestern blickten aus ihrem Spiel auf. Sie saßen in ihrem Geheimversteck, mitten zwischen den Lager- und Müllbergen gleich hinter ihrem Haus. Hier stapelten sich die Dinge, die ihr Vater zum Schutz von Wind und Wasser mit Plane bedeckt hatte: Röhren und Bretter, Balken und Stühle; und die nun still darauf warteten, niemals wieder benutzt zu werden. Ursprünglich war es ihnen nicht erlaubt gewesen, hier her zu kommen. Doch das hatte sie nie davon abgehalten, solange bis es zur Normalität gehörte.
«Schaut ihr, dass ihr das Ding, das ihr gebaut hab, wieder wegräumt?», rief die Mutter noch hinterher.
Auf dem Platz hinter ihrem Haus hatten sie ein großes Gebilde aus Röhren und Stangen gebaut – eine Art Brunnen, den sie mit einem Gartenschlauch auf seine Tüchtigkeit hin prüften. Ein «Spiel», das sie sehr häufig spielten. Der Trick dabei war, zu beachten, dass das Wasser niemals aufwärts floss. Sie waren inzwischen richtig kreativ geworden, in dem sie sich an den japanischen Baumbusbrunnen orientierten – und versuchten Bewegungen mit einzubauen.
Die beiden Mädchen sahen sich an. «Sollen wir gehen?», fragte die Jüngere. Die Ältere nickte. Es waren schon ein paar Minuten vergangen. «Was machen wir naher?», fragte sie, während sie aus der Höhle heraus kletterten und sich in Richtung ihres Zuhauses aufmachten, ein Weg der nicht länger als 3 Minuten war: «Wollen wir zur Linde gehen?» Die Linde war ein Baum, dessen Wipfel zu hoch war, um nur mit eigenen Fähigkeiten hinauf zu klettern, selbst für einen Erwachsenen. Ihre Äste begannen einfach viel zu weit oben. Doch sie hatten einen fast vier Meter langen Holzbalken entführt. Indem sie ihn schief an den Baum anlehnten, entstand für sie die Möglichkeit an diesem hinauf zu klettern.
Die Äste der Linde bildeten eine kleine Insel – ein natürliches Baumhaus für sie zwei, von wo aus sie die Welt betrachten konnte: «Ja. Das klingt gut.», erwiderte mein 8-jähriges Selbst.
Abenteuer hoch über die Welt – das klang wie eine gute Geschichte für den Nachmittag: «Und wann bauen wir den Brunnen ab?» «Noch nicht, wir haben noch kein Wasser runter fließen lassen.»
Das waren die verbotenen Orte meiner Kindheit. Orte, deren Grenze nur von unserer Fantasie bestimmt wurden. Und auch wenn es sie in Wirklichkeit, schon lange nicht mehr gibt; geräumt und abgeholzt; bleiben sie doch ein fester Teil meiner Gedankenwelt, verborgen und unsterblich in der Welt der Fantasie. Orte, an denen es noch immer Abenteuer zu erleben gilt.
© Michelle Reznicek 2022-03-15