Unter ständiger Beobachtung

Josef Gantner

von Josef Gantner

Story

Es war ein schöner FrĂĽhlingsvormittag im Jahre 1944, genauer gesagt, der 20. April 1944, als ein Nachbar zu meinem Vater ins Bienenhaus kam und aufgebracht schnaubte: „WeiĂźt du denn nicht, dass heute der FĂĽhrer Geburtstag hat!?“ Mein Vater fragte: „Jo, mol – warum?“ Der Nachbar antwortete: „Du hoscht d‘ Hitlerfahne noch net uusghängt.“ Mein Vater musste sich entschuldigen, eilte zum Dachboden hinauf und hängte die Hitlerfahne, die ein jedes Haus verpflichtend haben musste, raus. Hätte er sich geweigert, wäre das seine sichere Einberufung zum Kriegsdienst gewesen, obwohl er zu diesem Zeitpunkt bereits vierfacher Familienvater war und eine – fĂĽr damalige Verhältnisse – größere Landwirtschaft betrieb.

Auch beim Radio-Hören war größte Vorsicht geboten. Meine Eltern gingen mit meiner Schwester und mir beinahe alle zwei Wochen am Sonntagnachmittag rund 3,5 km von Wald am Arlberg nach Dalaas. Die Eltern meiner Mutter hatten nämlich einen sogenannten „Volksempfänger“ – ein Radio, von denen es ganz wenige in der Gemeinde gab. Auf die Besitzer eines Volksempfängers wurde vom Regime ein besonderes Augenmerk gelegt.

Meine Eltern wollten jedoch nicht der NS-Propaganda lauschen, sondern dem sogenannten „Feindsender“ der Alliierten (der Engländer, Franzosen und Amerikaner). Dieser informierte auf Deutsch über den Stand der Kriegsfronten. Da die Deutsche Wehrmacht laufend versuchte, diesen Sender zu stören, war die Verbindung sehr schwach, sodass man das Ohr immer ganz nah ans Radio halten musste. Vier Brüder meiner Mutter waren an verschiedenen Kriegsfronten im Einsatz und so war die Familie wissbegierig, unverfälschte Berichte über den Fortgang des Krieges zu erhalten.

Ich kann mich erinnern, wie mein Vater sagte: „Jetzt sind die Engländer schon in Oberitalien.“ Oder: „Die Franzosen nähern sich bereits dem Bodenseeraum.“ Und hoffnungsvoll meinte er: „Jetzt kann es nicht mehr lange dauern.“

Das Abhören musste allerdings äußerst streng bewacht werden. So wurden rund um das Haus vertraute Personen eingeteilt, um zu melden, falls ein Fremder in die Nähe des Hauses kam. Es gab schon Funkgeräte, um solche Sender zu peilen. Den „Feindsender“ zu horchen war strengstens untersagt und die Einlieferung in ein Konzentrationslager wäre die sichere Folge gewesen.

Ebenfalls unter strengster Beobachtung stand die verordnete „Verdunkelungspflicht“. Bei Dämmerung mussten, bevor ein elektrisches Licht angeschaltet wurde, alle Fensterläden zugemacht werden. Als mein Vater im Herbst das Vieh im Stallgut „Schattenhalb“ fütterte, durfte ich als Kind die Stalllaterne tragen. Diese musste jedoch mit einem Lichtschirm so abgedunkelt sein, dass ihre Leuchtkraft nur für zwei Schritte (ca. 1m) reichte. Denn allfällige feindliche Flugzeuge sollten nicht den Eindruck eines bewohnten Dorfes bekommen.

© Josef Gantner 2020-08-22

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