Es ist Ende Juli, ein etwas kühlerer und trüber Tag an der Kippe zum Regen. Ich habe es schon wieder getan, ich stehe am Eingang des Tierparks Ernstbrunn und bin voller Vorfreude, denn heute werde ich sie wieder einmal besuchen: faszinierende Lebewesen. Ich habe einen Rudelbesuch bei den Wölfen im Wolf Science Center gebucht.
Das Tor öffnet sich, die kleine Gruppe, zu der ich gehöre, wird empfangen und über den leicht ansteigenden Weg marschieren wir zum Foschungsstützpunkt. Als wir dort ankommen, lugen zwischen Büschen schon neugierige Augen hervor. Es ist Amarok. Mittlerweile kenne ich schon alle Wölfe, die sich hier in den jeweiligen Gehegen rumtreiben, habe sie schon Auge in Auge fotografiert, habe sie bei einem Ethologieseminar beobachtet, bin mit ihnen spazieren gegangen.
Mein absoluter Favorit ist Aragorn: mächtiger Körper, grau-schwarzes Fell, orange Augen und mittlerweile schon in gesetztem Alter. Ich kann mich noch gut an die erste Begegnung erinnern. Es war mein erster Besuch im WSC, ich hatte meine Labradorhündin mit und wir standen vor dem Bereich, in dem die Wölfe gezeigt und gefüttert wurden. Aragorn kam heraus auf die Wiese und erstarrte, duckte sich ab, sein Kopf wanderte hin und her, bis er schließlich einen Punkt fixierte. Dieser Punkt war Rania, meine Hündin. Na ja, Liebe war es nicht, und ich denke, ohne Zaun hätte mein argloser Labrador rasch das Zeitliche gesegnet. Ein paar Jahre später durfte ich dann Aragorn ohne Maschendraht dazwischen begegnen im Rahmen eines Fotoshootings mit den Wölfen. Wenn er Kontakt aufnimmt und einen ansieht, dann blickt man tief hinein in unverfälschte Natur. Man meint, Kontakt mit der Seele des Wolfes aufzunehmen und hineinzutauchen in eine Welt, wie wir moderne Menschen sie verloren haben.
Damals habe ich auch erstmals die Pfote von Nanuk gehalten. Inzwischen, nach dem eingangs erwähnten Rudelbesuch, sind wir schon einen Schritt weiter und ich durfte mich über einen herzhaften Wolfskuss diesen großen Schmusers freuen. Es ist eine Bekundung der Zuneigung, an die man sich sicher erst mal gewöhnen muss, aber sie ist unvergesslich.
Genauso unvergesslich war der Spaziergang mit Tala und Chitto. Da gibt es keine freudige Begrüßung wie bei Hunden, man wird zunächst einmal ab- und eingeschätzt, schließlich für würdig befunden, sie bei ihrem Rundgang zu beglei-ten und als Höhepunkt sogar zu streicheln und zu füttern.
Am faszinierendsten ist immer wieder die Ruhe und Eleganz, die diese Tiere ausstrahlen, die Klarheit ihres Ausdrucks. Wölfe sind hoch soziale Tiere, die uns viel über das Zusammenleben lehren können, vielleicht haben sie uns Menschen da auch einiges voraus in ihrer Unverfälschtheit und Ehrlichkeit. Vielleicht halten sie uns auch einen Spiegel vor und müssen deswegen so hart darum kämpfen, ihren Platz in Österreich als frei lebender Teil der Natur – wieder – zu finden.
© Gernot Blieberger 2019-11-27