Unternehmen “Balsaholz”

Story

Da ich mir oft den Kopf darüber zerbreche, was nach Verbrauch des ganzen gehorteten Corona-Klopapiers aus den übriggebliebenen Papprollen werden könnte, bin ich durch meine ausschweifenden Assoziationsketten nun bei dem etwas schrägen Werklehrer meines Sohnes gelandet, bei uns liebevoll “Bastelprofessor” genannt. Selbiger, ein kleines, dürres Männchen mit einem undefinierbaren Akzent und einem überdimensionierten Sendungsbewusstsein in Bezug auf die Wichtigkeit seines Faches für eine normale AHS, war der einzige, der mich während der gesamten Schulzeit meines Sohnes öfters bis an den Rand eines Nervenzusammenbruchs trieb. Ich fürchtete nichts mehr als die ellenlangen Listen des Bastelprofessors für das Bastelmaterial, denn vieles davon war mir völlig unbekannt. Und da ich die spätere Karriere meines Sohnes nicht durch eine schlechte Bastelnote wegen Materialmangels gefährden wollte, wurde die Bastelliste sicherheitshalber zur Chefsache erhoben, fiel also vollinhaltlich in meine Kompetenz.

Damals gab es kein Internet, sondern nur ein Telefonbuch und unsichere Mundpropaganda, wo man was eventuell bekommen könnte. Verzweifelte Eltern führten Telefonate bezüglich einiger Geheimtipps, sogar Einkaufsgemeinschaften wurden gegründet.

Ein extrem kniffliger Fall waren die Balsaholzstäbe mit einer ganz bestimmten Dicke und Länge für ein Flugzeug. Balsaholz kannte ich nur aus den Expeditionsberichten von Thor Heyerdahl, die ich in meiner Jugend gerne gelesen hatte, erwartete mir also ein entsprechend exotisches Material, nicht aber die abenteuerliche Expedition, die zum Erwerb desselben in Wien nötig war.

Zunächst konsultierte ich die “Gelben Seiten”, wie das auf gelbem Papier gedruckte Branchentelefonbuch damals genannt wurde, und wurde nach einem Telefonmarathon in der Nähe des Matzleinsdorfer Platzes fündig, wo ich noch nie zuvor gewesen war, jedenfalls nicht bewusst und schon gar nicht absichtlich. Die Überquerung des Platzes während einer Umbauphase hatte durchaus Ähnlichkeit mit Heyerdahls Fahrt über den Pazifik. Ich fand mich ganz allein in einer schummrig beleuchteten Unterführung wieder, und erst der vierte Versuch mit der Rolltreppe führte zum Erfolg, nachdem ich die ersten drei Male in einer unüberquerbaren Verkehrshölle gelandet war. Das Balsaholz hatten sie aber tatsächlich.

Jetzt aber zurück zu den Klorollen. Der Bastelprofessor beauftragte nämlich eines Tages die Kinder Klorollen zu sammeln, denn damit sollte eine Kugelbahn gebaut werden. Diese schmückt jetzt noch das ehemalige Kinderzimmer meines Sohnes, denn sie steht auf dem Kasten und unter schwerstem Denkmalschutz und gilt als UNESCO_ Weltkulturerbe, genauso wie das berühmte Balsaholzflugzeug, das auf drei leeren Blumentöpfen über unserem Vorzimmerschrank schwebt. Mein sonst so nüchterner Sohn hütet die beiden Werke nämlich wie seinen Augapfel.

Der Bastelprofessor möge in Frieden ruhen.

© 2022-03-30