Unterwegs in der Gedankenwelt

Ginga

von Ginga

Story

Leise schliesse ich die Tür hinter mir. Gleichzeitig erfasst mich die Kälte und umhüllt blitzartig meinen ganzen Körper. Zügig laufe ich los. Die noch müden Glieder erwachen nur langsam zum Leben, aber es geht voran. Ich passiere den schmalen Verbindungsweg zwischen zwei Häuserreihen, dann eine Rechtskurve, vorbei bei den eingezäunten, schlafenden Schweinchen. Jetzt bin ich bereits auf einer grösseren, gut beleuchteten Strasse. Es ist erstaunlich, wie schnell alles an einem vorbeizieht, wenn man das Schritttempo erhöht. Ich finde meinen Rhythmus und mein ideales Pace, was Tempo bedeutet in der Läufersprache.

Ich drifte in Gedanken in eine andere Atmosphäre. Ich stelle mir vor, ich bin im Wald. Es ist dunkel und das Waldklima feucht. Unter meinen Laufschuhen rascheln Blätter und zwischendurch bricht ein Zweig, hie und da löst sich ein Kieselstein von seinem Platz und spickt weg. Die Waldbewohner befinden sich noch in ihren Höhlen, Nestern oder Baumlöchern. Möglicherweise sind sie bereits nur noch im Dämmerschlaf und registrieren meinen schnellen, stossenden Atem. Es ist aber auch möglich, dass sie noch einige Monate im tiefen Winterschlaf weilen. Dieser Gedanke macht mich ein wenig neidisch. Wenn die Natur es so gut hinkriegt, wieso nicht auch wir Menschen? Aufstehen, bevor es hell ist und von der Arbeit nach Hause kommen, wenn es bereits dunkel ist, das verstosst gegen die Naturgesetze. Andererseits gibt es Orte auf der Welt, an denen die Dunkelheit über mehrere Monate herrscht, die Nacht wird zum Tag. Ich laufe meine Runde und die Gedanken spinnen nur so vor sich hin. Wie schön, den Alltag hinter sich zu lassen und einfach mal ein bisschen zu sinnieren. Mein Körper fühlt sich warm an und ich legen einen Zacken zu. Ein Vogel fliegt aufgeweckt aus einer Baumkrone. Huch, wer hat sich gerade mehr erschreckt, der Vogel oder ich? Jetzt beherrscht wieder die Stille den Wald. Ich sehe das Ende des Weges, nicht aber das Ende meines Ziels. Es tut so gut, hier zu sein, ich entscheide, links kehrt zu machen und biege in einen weiteren Weg durch einen anderen Waldabschnitt. Hier höre ich nun gut das plätschern des nahegelegenen Baches. Es hat viel geregnet in den letzten Wochen und ich bemerke, wie der Bach rauscht, er reisst alles mit, was in der Höhe seines Wasserpegels lose rumliegt. Wenn der Bach eine Seele hat, einen Schutzgeist, dann hat dieser nun mächtig zu tun, das Gleichgewicht des beinahe überschwemmten Gewässers wieder in Ordnung zu bringen. Auch ich spüre die feuchten Nebelschwaden im Gesicht. Es hat begonnen zu rieseln. Ich kann nicht ausmachen, ob es nur Regen ist, oder auch Schnee dabei ist. Bei den herrschenden Minustemperaturen ist beides möglich. Eine Rolle spielen tut es auch nicht den kalt bleibt eben kalt.

Ich laufe geradeaus und stelle fest, dass die Strasse zu gut beleuchtet ist. Alle paar Meter steht ein Laternenmast neben einem asphaltierten Gehsteig. Ich befinde mich auf der Hauptstrasse. Gerade noch gelingt mir die Linkskurve. Ich suche mir den Weg durch unser Quartier mit den schönsten Weihnachtsbeleuchtungen und stehe kurz danach zufrieden vor meiner Eingangstür. Das war toll. Nächstes Mal nehme ich den Weg durch den Wald.

© Ginga 2024-01-13

Genres
Reise
Stimmung
Dunkel, Mysteriös