Unvergessener Lehrer

Gigi

von Gigi

Story

In einer Bezirkshauptstadt, einer Mädchenhauptschule, 4. Klasse im Jahre 1958. Obwohl ich die Zweit-Größte meiner Klasse war, saß ich gerne in der ersten Reihe.

Wir hatten Deutschstunde, nächste Stunde Englisch. Leider hatte ich mich wie üblich viel zu wenig für diese Stunde vorbereitet. Also hatte ich unter der Bank mein Vokabelheft auf den Knien aufgeschlagen. Ich konzentrierte mich mehr auf die Vokabeln als auf den Deutschunterricht.

Ich bemerkte nicht, dass ich vom Profassor beobachtet wurde, zu vertieft war ich in meine Vokabeln. Es dauerte eine Zeit bis ihm meine Unverschämtheit zu viel wurde. Doch plötzlich explodierte er. In einem Anfall von Wut sprang er vom Katheder auf und nahm mir das aufgeschlagene Vokabelheft von den Knien.

Er riss das Blatt der rechten Seite die ich gerade aufgeschlagen hatte der Längs nach nach unten heraus. Zerknüllte es in seiner Hand und warf es in den Wasserkübel neben der Tafel.

Worauf ich in Tränen ausbrach und mich nicht beruhigen konnte. Ich wollte ihn doch nicht provozieren mit meiner Unverschämtheit. Ich hatte nur schlicht und einfach Schiss in der nächsten Stunde geprüft zu werden.

Dieser Professor war nämlich mein Lieblingslehrer, er kam aus Böhmen, war Doktor der Germanistik und nannte sich selbst manchmal aus Spaß Böhmischer Wenzel.

Scheinbar rührte ihn meine Verzweiflung so, dass er daraufhin ganz vorsichtig das zusammen geknüllte halbe Blatt aus dem Eimer fischte und vorsichtig das Wasser abfließen ließ. Mit ihm floss auch ein Teil der Tinte mit ab. Was davon übrig blieb, war eine blassblaue Schrift.

Er nahm mehrere Löschblätter aus der Kathederlade, legte das faltige halbe Blatt zwischen die Löschblätter und wiederholte diesen Trockenvorgang mehrere Male.

Daraufhin schickte er das schwerste Mädchen der Klasse in die anderen Klassen um die dicksten Bücher. Es dauerte ein wenig bis sie mit einem hohen Stapel schwerer Bücher am Arm angekeucht kam und sie mit einem lauten Plumps auf den Katheder fallen ließ.

Mittlerweile verrichteten die Löschblätter ihren Dienst und der Herr Professor legte das fast trockene Blatt zwischen zwei Löschblätter ins unterste Buch. Das stämmige Mädchen musste sich auf all die Bücher drauf setzen. Es sah aus, als säße sie auf einem Thron und die ganze Klasse kicherte.

Knapp bevor die Stunde zu Ende ging, klebte der Herr Professor die schön geglättete Hälfte zur anderen in mein Heft und ich war gerettet. Es läutete und die Deutschstunde war zu Ende.

Kaum war der Professor draußen, da fielen meine Klassenkameradinnen über mich her.

„Zatterl“ so nannte man damals das Lieblingskind einer Lehrperson. Und genau dieses warfen sie mir einstimmig an den Kopf.

Da ich während meiner gesamten Schulzeit mich nicht erinnern kann jemals das Zatterl einer Lehrperson gewesen zu sein, „leider“, blieb mir noch bis zum heutigen Tag genau dieser Lehrer in lebhafter und liebenswerter Erinnerung!

© Gigi 2019-07-29