Meine Großeltern mütterlicherseits kamen außer einigen wenigen Rentner-Fahrten zu ihrer großen Tochter in Niedersachsen nie groß aus dem Heimatkreis heraus. Es gab noch keinen FDGB (Freier Deutscher Gewerkschaftsbund) und außerdem wenig Verdienst. Opa war schon lange krank und kaum noch reisefähig.
Auch bei den Großeltern väterlicherseits waren Urlaubsfahrten nicht üblich. Sie hatten, bedingt durch die Umsiedlung 1946, nicht viel Geld und erlebten von der Rentenzeit wenig oder nichts.
Mein Vater war 1949 mit Klassenkameraden in Dorf Wehlen im Elbsandsteingebirge.
Als Junggeselle war Vati einige Tage in Sebnitz. Die fünf jungen Leute, die sich auch aus der Laienspielgruppe kannten, übernachteten in der Bodenkammer eines Freundes und besuchten u. a. den Königstein. Es gab noch Lebensmittelmarken.
Über die Jahre hatten wir verschiedene Haustiere: zwei Schildkröten; Meerschweinchen, Hamster, Vögel. Sie kamen im Urlaub zur Oma bzw. zu Nachbarn in Pflege.
Vati arbeitete in einer Textilfabrik und war dort auch Gewerkschaftskassierer. In einem größeren Betrieb wurden Beitragsmarken geholt und zu Versammlungen Urlaubsplätze nach der Mitarbeiterzahl aufgeteilt. Die meisten Kollegen waren älter, nicht (mehr) so reiselustig, kaum gewöhnt, zu verreisen, hatten kleine Landwirtschaften, Haustiere bzw. Gärten zu versorgen und konnten in der Erntezeit nicht weg. Tagesausfahrten der Belegschaft gab es allerdings, so in den Spreewald.
Man wollte den zur Verfügung stehenden Ferienplatz nicht verfallen lassen. Deshalb nahmen meine Eltern das Angebot wahr und reisten am 19.08.60 erstmalig mit dem FDGB per Bahn und Autobus nach Hohnstein/Sächsiche Schweiz.
Der Weg in die kleine Stadt überm Polenztal in bergiger Gegend ist steil. Das Gepäck wurde auf Pferdewagen umgeladen. Die Urlauber durften zum Heim laufen, wo bei weitem nicht alle wohnen konnten. Aufteilung auf Privatunterkünfte. Der Vermieter, zu dem meine Eltern kamen, hieß Kaulfuß. Vati fragte sicherheitshalber den Kutscher, weil er befürchtete, das sei ein Spitzname. Stellen Sie sich vor, man sagt: „Guten Tag, Herr Kauffuß! Wir sind die neuen Gäste.“ und hat ein blaues Auge.
Im Zimmer war eine Waschschüssel mit Wasserkrug, die Toilette im Hof neben den Schuppen. Kannte man von zu Hause, Wasserleitung in der Wohnung hatten meine Eltern in C. allerdings schon, selbst im Haus seiner Kindheit war von Vatis Eltern eine Leitung vom Brunnen ins Haus gelegt worden. Man musste vorbei am Hofhund Rolf. Nachts war es ziemlich finster. Es gab einen Eimer, um verbrauchtes Waschwasser nach unten zu tragen.
© Annemarie Baumgarten 2023-12-06