von Deen_Everstin
Uwe Kaschinski hatte nach dem Abitur im Sommer 1984 große Pläne. Studieren, die Welt bereisen, Abenteuer erleben. Aber um das zu finanzieren, brauchte er einen Job. Uwe arbeitete deshalb zunächst an der Abendkasse des Renaissance-Theaters, einem der renommiertesten Theater Berlins im Herzen der Stadt, unweit vom Campus der Universität, an der er studierte. Das Studium aber lief schleppend, die Miete war teuer und das Gehalt mau. Also erhöhte Uwe die Stunden im Theater, um die eigene Kasse aufzubessern. Die Schichten wurden mehr, die Schichten wurden länger, die Leistungen in der Uni dafür umso schlechter. Irgendwann hing Uwe das Studium an den Nagel und blieb im Theater. Seine Träume verblassten und die Tristesse des Alltags bestimmte von nun an wie eine bleierne Schwere sein Leben. Die Jahre vergingen und schließlich gewann die Trägheit. Der einzig freudvolle Farbtupfer seiner Existenz waren die Vielzahl an phänomenalen Stücken, die er im Laufe seines Arbeitslebens auf der historischen Bühne des Theaters mitverfolgen durfte.
Die Jahre vergingen, bis Uwe nunmehr seinem 40. Jubiläum an der Theaterkasse entgegenblickte und damit ohne es selbst zu realisieren auch zu einem festen Bestandteil des Repositoriums wurde. Nun blickte er so langsam in Richtung Rente. Seit ein paar Monaten flackerten die Ideen von Abenteuern und fernen Reisen in seinem Geist wieder auf und er malte sich bereits die erste exotisch Destination in Fernost aus, die er erkunden wollte – doch dazu sollte es nicht mehr kommen. Eines Abends, nachdem die letzte Vorstellung vorüber war und Uwe als scheinbar Letzter das Theater gerade verlassen wollte, fiel ihm eine Gestalt auf, die ziellos zwischen den Gängen des Theatersaals herumlief. Uwes Pflichtbewusstsein ließ ihm keine andere Wahl, als sich der Sache anzunehmen und den offenbar verwirrten Besucher den Ausgang zu weisen. Es sollte das Letzte sein, was Uwe Kaschinski im Dienste des Theaters tat.
Am nächsten Tag erschien Uwe nicht wie gewohnt zur Schicht. Da das absolut nicht seinem Wesen entsprach, bereitete seine unangekündigte Abwesenheit der Theaterleitung große Sorge, sodass die Polizei alarmiert wurde. Huss und Marlies, die durch den abgetrennten Finger bereits auf der Suche nach Uwe zu dessen Wohnung geeilt waren, erhielten von der Schichtleitung Kenntnis über das Theater. Doch weder bei ihm zu Hause noch im Theater befand sich eine Spur von ihm. Es sollte noch bis zum Abend dauern, bis das Mysterium um Uwes Verschwinden gelöst wurde. Als für die Abendvorstellung wie üblich der Vorhang gelüftet wurde, passierte zunächst gar nichts. Erst nach mehrmaligem Betätigen des Mechanismus kam das System langsam in Fahrt. Statt euphorischem Entzücken breitete sich jedoch mit dem heutigen Lüften des Vorhangs auf den Gesichtern der Gäste blankes Entsetzen aus. Uwe Kaschinski hing stranguliert und von Seilen zerquetscht in fünf Metern Höhe über der Bühne.
Inmitten der Bühne lag groß ausgebreitet die Titelseite eines Zeitungsartikels. Die Headline lautete „Kommissar Kringel und sein Team auf der Jagd nach dem Sündenmacher – Wird er die Mordserie stoppen?!“. Marlies las als Erstes die Schlagzeile und wurde kreidebleich, als sie sich an ihr Gespräch mit Hussi erinnerte. „Wann hast du das letzte Mal von Theo gehört?„
© Deen_Everstin 2024-04-28