Valentinstag

Tobias Prett

von Tobias Prett

Story

„Und dann hat sie einfach nicht mehr zurückgeschrieben. Kannst du dir das vorstellen?! Für wen hält sie sich eigentlich?“, Luisa war wieder einmal in eine ihrer lästigen Schimpf Tiraden über eine ihrer besten Freundinnen verfallen und ich schaltete mein Gehirn ab. Das funktioniert bei ihr Recht gut. Sie erwartet gar keine Erwiderung auf solche Monologe, ohnehin konnte ich selten darauf antworten oder diesen überhaupt folgen. Die meisten ihrer Freundinnen kannte ich nicht. Ich ließ also meinen Blick wie üblich durch die Umgebung schweifen, ohne wirklich Interesse an irgendwas oder irgendjemandem zu zeigen. Das Restaurant, in dem wir zu Abend aßen, war von Kritikern in höchsten Tönen gelobt worden und heute zum Valentinstag voll mit Paaren. Im rechten Augenwinkel sah ich einen Mann in einem eleganten dunkelblauen Smoking. Er war vermutlich um die 60 Jahre alt. Zuerst dachte ich er würde auf jemanden warten, doch nach 20 Minuten ohne, dass jemand erschien, wurde mir klar, dass er wohl alleine gekommen sein müsste. „Wie traurig“, dachte ich, „Am Valentinstag ohne Begleitung und das in diesem Alter“. Luisa ließ sich nun nicht mehr über ihre Freundin, sondern über ihre Schwester aus, im gleichen charmanten Ton wie bisher. Ich lächelte ihr alle paar Sekunden zustimmend zu, doch fokussierte mich weiterhin auf den Mann am Nebentisch. „Er sieht nicht traurig aus, er strahlt doch förmlich.“, ich änderte meine Meinung zu unserem Sitznachbar. Genussvoll zog er an seiner zu großen Zigarre und trank von seinem Whiskey. „Die Blöde Kuh hat sich auch noch die gleiche Tasche gekauft wie ich. Sie ist wie ein Kleinkind“, Luisa bemerkte gar nicht, dass meine Aufmerksamkeit völlig woanders lag. Der Mann saß mit überkreuzten Beinen, zurückgelehnt im Sessel und beobachtete, wie ich, die Menge. Plötzlich, blieb sein Blick an mir hängen und fand den meinen. Er zog seine linke Augenbraue nach oben, behielt dabei die Zigarre protzig im Mund, blickte kurz zu Luisa und schüttelte leicht seinen Kopf, nur um dann wieder zu mir zurückzukehren. Mich durchfuhr ein unerklärliches Zucken, gefolgt von einem Moment der Erkenntnis und Erleichterung. Ich stand wortlos vom Tisch auf- „Was machst du denn?“- knöpfte mein Sakko zu- „Wohin gehst du?“- legte einen hundert Euroschein auf Luisas Weinglas- „Bist du verrückt!?“- und begab mich mit einem Gefühl der vollkommenen Befriedigung zum Ausgang des Restaurants. Luisa schrie mir irgendwelche Dinge nach, doch nach dreizehn Jahren Beziehung, war ich das Abschalten ja schon gewöhnt. Kurz bevor ich das Gebäude endgültig verließ, drehte ich mich noch einmal zu dem Mann um. Wieder sah er mich direkt an. Wir nickten uns gegenseitig zu und ich verschwand in die Nacht.

© Tobias Prett 2021-08-15