von Lucyy
Ich, die Autorin, von dem, was einmal ein Roman werden soll, sitze hier auf der Veranda. Das Licht ist grell und durchdringend, nur von den hohen Bäumen der Weide davor, gefiltert. Alles an diesem Tag scheint in einem täuschendem Licht stattzufinden. Der Wind entlockt dem aus Bambus geschnitztem Windspiel seine Melodie. Alles geht äußerst langsam vonstatten, vollzieht sich einem Tempo, das schläfrig macht. Zu Hause scheint zu weit weg, um überhaupt darüber nachzudenken. Das was zählt, geschieht hier und jetzt. Alles andere muss warten. Dieser Gedanke beunruhigte nicht. Nicht mehr. So war es eben.
Camilla Bojan
Wenn ich an Camilla Bojan denke, fällt mir zunächst ihre Körperhaltung auf. Eine Körperhaltung, die zunächst Selbstsicherheit und Stärke ausstrahlte, bei genauerem Hinsehen jedoch, etwas Unsicheres und Verletzliches zu verstecken versuchte. Oberflächlichen Menschen konnte sie sich so mühelos verkaufen. Jedoch nicht Alberto Caminieri. Dieser durchschaute sie beim ersten Aufeinandertreffen sofort. Das erste Aufeinandertreffen. Das war im Jahr 2005 und Camilla war gerade damit beschäftigt, ihre journalistische Tätigkeit richtig zum Laufen zu bringen.
Camilla stand vor dem Spiegel der Damentoilette des Grand Hotels. Wie üblich schaffte sie es nicht sofort ihren Ohrring in das linke Ohrloch zu stecken. Und wie üblich fluchte sie dabei. Sie stand kurz davor den wichtigsten Abend ihrer beruflichen Laufbahn entgegenzusehen und dementsprechend nervös war sie. Auf den heutigen Abend kam es an. Heute Abend war entscheidend. Und das nicht nur für ihre Karriere. Das war ihr klar. Auf dem Weg nach draußen scannte sie die Umgebung, so wie sie es immer tat. Im Kopf ging sie noch einmal die Fragen durch, die sie dem Leiter des Instituts gleich stellen würde. An ihrem Platz angekommen, streifte ein durchaus attraktiver Mann ihr Sichtfeld. Sie bemerkte seinen forschenden Blick. Es war ihr unangenehm. Sie erinnerte sich schnell wieder daran, weshalb sie dort war und schenkte dem Mann keine weitere Beachtung. Sie musste voll fokussiert sein und durfte sich nicht ablenken lassen. Dies war der Moment, als Camilla Bojan zum ersten Mal, wenn auch nur für einen flüchtigen Augenblick, Notiz nahm von Alberto Caminieri. Der Applaus ging los, der Gastgeber trat auf die Bühne und der Abend nahm seinen Lauf.
© Lucyy 2023-10-12