von Merlin Geihe
Individuelle Verdrängung vs. Gesellschaftliche Verdrängung
Als erstes müssen wir unterscheiden, ob ein einzelner Mensch etwas verdrängt oder eine Gesellschaft.
Wenn ein einzelner Mensch Gedanken, Ängste oder Erinnerungen verdrängt, dann tut er dies zum Schutz seiner eigenen Psyche. Dadurch gewinnt er an geistiger Stabilität und kann seinen Alltagsherausforderungen nachkommen. Wenn die Verdrängung allerdings zu stark ausgeprägt ist, dann findet keine Problembewältigung mehr statt und kann letztendlich zu psychischen Störungen (z.B. Angststörung) führen.
Während beim Einzelnen vor allem psychische Stabilität im Vordergrund steht, hat kollektive Verdrängung weitreichendere Konsequenzen. In diesem Fall wird die eigentliche Ursache des Problems nicht bearbeitet, sondern bleibt bestehen oder verschlimmert sich sogar. Während beim Einzelnen vor allem die Stabilisierung des seelischen Gleichgewichts im Vordergrund steht, hat Verdrängung auf gesellschaftlicher Ebene deutlich weitreichendere Folgen.
Beim Einzelnen geht es um die psychische Stabilität, weshalb Verdrängung kurzfristig entlastend wirken kann. Auf gesellschaftlicher Ebene hat sie jedoch weit gravierendere Konsequenzen: Probleme werden nicht gelöst, sondern verschärfen sich. Ein Beispiel dafür ist der Klimawandel. In Deutschland ist die Klimakompetenz in den letzten Jahren deutlich gesunken: Der Anteil der Menschen mit geringerem Wissen über den Klimawandel stieg von 32,5 % im Jahr 2021 auf 47,5 % im Jahr 2023.¹ Das bedeutet, dass sich immer weniger Menschen aktiv mit der Klimakrise auseinandersetzen – obwohl sie zunehmend bedrohlicher wird. Wie lässt sich dieses paradoxe Verhalten erklären?
Politik und Medien spielen in diesem Prozess eine entscheidende Rolle. Politische Entscheidungsträger neigen dazu, unbequeme Wahrheiten abzuschwächen oder in die Zukunft zu verschieben, um kurzfristig Zustimmung zu sichern. Dadurch wird die Illusion erzeugt, die Situation sei unter Kontrolle. Zudem werden den BĂĽrgern einfache Antworten auf schwierige Fragen gegeben. Seien es Atomkraftwerke als Lösung fĂĽr die Klimakrise oder Immigranten als Grund fĂĽr die steigende Kriminalität – hier werden gezielt die Ă„ngste und Emotionen der BĂĽrger ausgenutzt, um damit an Wählerstimmen zu kommen. Welche Probleme und Risiken es mit der Atomkraft gibt oder dass die Kriminalitätsrate in den letzten Jahren sogar gesunken ist (seit 2004 in Deutschland um 12% gesunken)² , wird extra nicht erwähnt.
Ähnlich verhalten sich Medien: Während reißerische Schlagzeilen kurzfristig Aufmerksamkeit erzeugen, fehlt es häufig an kontinuierlicher und tiefgehender Berichterstattung. Dadurch geraten langfristige Probleme in den Hintergrund und werden kollektiv verdrängt.
© Merlin Geihe 2025-08-25