Verfluchtes Gold und fröhliche Lachsbrötchen

MISERANDVS

von MISERANDVS

Story

Als es Abend wird, brummt mir der Schädel. Den Tag hab ich damit verbracht, mich mit deutschen Behörden und Institutionen abzuärgern. Wenn man in den dortigen rückständigen Verwaltungs-Apparat gerät, weiß man die unkomplizierte hiesige Verwaltung erst richtig zu schätzen. Vor sieben Jahren ist “Onkel” Julius verstorben und hat ein kleines Vermögen hinterlassen. Erst seiner Schwester, die dann verstorben ist, dann meinem Vati, der nun auch verstorben ist, und nun erben meine Schwester und ich, und ich überlege, ob in dem Erbe vielleicht ein Teil des verfluchten Goldes von Cortes enthalten ist, und ob ich überhaupt noch für eine ganze Woche einkaufen soll, weil es mich vermutlich als nächsten erwischen wird. Montezumas Fluch und so!

Als ich die Dokumente abspeichere, alles schön in Ordnern sortiert, stolpere ich über einen Ordner “selbstgedrehte Videos”. Die Dateien darin sind ewig alt, aus 2001. Einer der Ordner heißt “Lydia”. Ob da wirklich was drin ist? Ich beginne zu zittern. So sehr, dass ich mit der Maus erst danebenklicke. Doch – tatsächlich – es sind Dateien drin. “Bitte, Gott! Lass sie noch funktionieren.”, flüstere ich, als ich die erste Datei öffne. “Oh, Gott sei Dank!”, sage ich, als ein Video startet in grottenschlechter, damals üblicher, Qualität. Silvesterabend 2001. Lydia bereitet voller Freude Lachsbrötchen in der winzigen Küche meiner ersten Bude zu. Nur mit Höschen und ärmellosem Shirt bekleidet, mantscht sie fröhlich popowackelnd alles zusammen. Dabei quatscht sie ohne Pause. Längst hab ich angefangen zu heulen. Ich dachte, ich hätte alles – bis auf ein paar Bilder – beim Plattencrash verloren. Und sie nun zu sehen, ihre Stimme zu hören, ist so unbeschreiblich schön für mich, dass ich emotional ins Bodenlose falle. Wie immer albert sie herum, wie immer kommentiere ich frech, wie immer lacht sie laut los, biegt sich vor Lachen und klopft sich auf die Schenkel dabei. Ich drück auf Pause, weil ich durch meine Tränen sowieso nichts mehr sehe. 10 Videos! Ganze 10 Videos hab ich noch von ihr! Was für ein Schatz! Was für ein Glück! Fotos sind fein, aber Videos sind doch nochmal ganz was anderes.

Nach einer Weile des Sammelns und einer Fluppe schaue ich weiter. Ein paar Sekunden, dann heule ich wieder laut schluchzend. Wie schön sie ist! Wie amüsiert sie wirkt! Wie glücklich sie scheint! Als das Bild über ihren Leib schwenkt, fällt mir auf, wie weit wir in knapp zwei Jahren gekommen waren, wie wunderbar weiblich ihr Körper da schon ausgesehen hat, wie weit in die Dunkelheit wir da ihren Dämon Bulimie schon vertrieben hatten. Wie sehr sie sich auf die Brötchen freute und ganz selbstverständlich hin und wieder den Finger in den Mund steckte und sich die Mayo davon ableckte! Ein Zeugnis ihrer Stärke und ihres Erfolgs in bewegten Bildern von der Bedeutung der ersten Mondlandung! 4 Minuten 30 Sekunden bewegter Bildbeweis unserer Liebe und unseres Glücks.

Rotzend und schniefend flüstere ich: “Danke, lieber Gott! Danke!”

© MISERANDVS 2021-08-24

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