von Pretulia
Der Frühling ist die Jahreszeit, die mich immer melancholisch stimmt. So wie die Natur wieder zum Leben erwacht, so macht sie mir meine Vergänglichkeit bewusst. Das Wissen, dass die Zeit die vor mir liegt, kürzer ist als die, die hinter mir liegt. Dabei hänge ich gar nicht so am Leben. Es ist vielmehr das Bewusstsein, dass vieles nicht mehr möglich ist,
Häuser werden gekauft, Einrichtungspläne besprochen, Kinder gezeugt. In den Gesichtern der Jugend sieht man die unbändige Freude am Leben, diese Aufbruchstimmung, hoppla jetzt komm ich! Alles ist möglich. Bäume ausreißen, sich verlieben, die Freude daran neues zu entdecken, die Zeit, die vor einem liegt, hat kein Ende.
Die Sonne scheint auf jeden von uns. Leider vertrag ich sie immer weniger. Ein Haus bauen (lassen) unmöglich, keine Bank der Welt gibt einer Pensionistin einen Kredit. Umziehen? Zu anstrengend! Unsichtbar bin ich geworden. Zur Untätigkeit verdammt, da nicht mehr gebraucht. Vorbei die Zeit, als Kinderarme sich um mich schlangen und sagten: du bist die allerliebste Mama von der Welt.
Ich brauche keine Kommentare wie: du kannst alles machen, was du willst. Du hast ein schönes Zuhause. Du hast keine Geldsorgen. Alles hat seine Zeit. Aus dem Sumpf, in dem man steckt, kann man sich nur selbst befreien.
Das weiß ich alles! Doch ich bin müde. Manchmal enttäuscht, ob der Möglichkeiten, die ich leichtsinnig verspielt habe. Zu wenig gelebt, geliebt, gelernt. Ich befinde mich in der Warteschleife, bald werde ich aufgerufen. Jederfrau, Jederfrau! Worüber soll ich dann berichten, meine vertanen Chancen? Meine Unfähigkeit etwas zu Ende zu bringen. Meine Ungeduld, meine Unsicherheiten? Gibt’s noch Us? Dann sind es meine.
Ein Arm legt sich um mich, drückt mich an sich. Welch himmlischer Duft. Ganz ruhig, meine Kleine. Warum erzählst du nicht von deinem Mitgefühl, deiner Liebe, deinem großen Herz, das für alle schlägt, die hier auf der Erde kreuchen und fleuchen? Die im Hässlichen noch was Schönes findet. Von deinem Patenkind in Uganda. Von deiner Schwester, Lebensberaterin und Freundin. Mit der du lachen kannst und ihr euch gegenseitig Stütze seid. Über deine Zärtlichkeit, mit der du deinem Mann über das Haar streichst, deinen Nichtenenkel an dich drückst. Deine Hilfsbereitschaft, die manchmal schon fast Selbstaufgabe ist. Über deine Höflichkeit, deine Freundlichkeit und Verletzlichkeit. Die Verlässlichkeit, die für dich selbstverständlich ist. Dein Feingefühl, denn du willst keine Seele verletzen. Meinst du nicht, dass das gute Sachen sind, die du einmal vortragen kannst?
Verlegen mache ich mich frei. Eigenlob stinkt, habe ich noch gelernt. Inzwischen heißt es tu Gutes und sprich darüber. Mein Engel kennt mich und ich bin ihm dankbar, dass er mich immer mal erinnert, dass ich keine ganze Versagerin bin.
Mein Frühling findet bereits im Herbst statt. Astern erblühen im Spätsommer. Denken sie, welch kurze Zeit ihnen bleibt?
© Pretulia 2021-03-06