Verheißungsvolle Heldin

Musenzeit

von Musenzeit

Story
2022 – 2024

Wer will nochmal, wer hat noch nicht? Der Jahrmarkt unserer Lebensmöglichkeiten. Was lässt sich da nicht alles Verheißungsvolles entdecken!

Vor vielen Jahren begeisterte mich das Kommunikationsmodell des „inneren Teams“, das ich mit meiner „inneren Theatertruppe“ (wie ich die lebenssüchtig lauten, kreativen Persönlichkeitsanteile nannte) sofort in mein Herz schloss und seitdem eine Menge Spaß damit habe: Ein demokratisches Miteinander im Sinne neuester Erkenntnisse der Kognitionswissenschaften, nachdem sich mir die Freudˋsche Ich-Theorie als ziemlich freudlos und lebensunflexibel präsentiert hatte, die den Spaß nur den Narren überließ. Meine innere Komikerin bekam im Alltag – wie auch in der Bildungs- und Kulturszene geschichtlich geprägt vorgesehen – meist nur kleine Nebenrollen zu fassen – außer, wenn ich Tierstimmen imitierte. So einige Kinder kamen in den fragwürdigen Genuss meines vermeintlichen Talents und ließen mich, vor Begeisterung kreischend, nicht mehr aus dem Muhen, Krähen und Miauen heraus. Abendfüllend hätte das sein können! Grimassen schneiden soll gegen Faltenwurf helfen, aus Eitelkeit blieb ich also dran. Meine Clownin hat regelmäßig eine Bühne, wenn ich vor Aufregung mal Notenblätter in die Luft werfe oder traumtänzerisch an Möbelecke, Menschen oder Raumteilelementen klebenbleibe, weil ich erstaunlicherweise meine überschaubaren Körpermaße unterschätze oder wohl eine nachhaltig körperlich eindrucksvolle Begebenheit erleben möchte. Ich bin bestimmt nicht allein damit, ich lebe nur innerdemokratisch aus.
Komische Frauenfiguren als Heldinnen in Romanen wären ihr in der „ernsthaften“ Literatur bisher kaum als Rollenmodell begegnet, so sinngemäß die Autorin Verena Roßbacher in einem Interview zur Entstehung ihres Romans „Mon Chérie und unsere demolierten Seelen“, für den sie 2022 den Österreichischen Buchpreis bekam. Eine Herausforderung sei es für sie gewesen, so eine komische Heldin zu erschreiben. Gleich auf der ersten Seite wird über Sex- und Traumszenen in Literatur und Film auf aberwitzige Weise reflektiert. Sofort mochte ich Charly, die ungewöhnliche Protagonistin, in diesem Sommer durch das Buch begleiten. Unfreiwillig komisch, dabei hochintelligent und sympathisch ist sie in ihrer außenseiterinnenbegabten Schrulligkeit, eine Singlefrau mit Postangst, die unterwegs drei Männer und mich als Leserin für sich einnimmt. Ein sprachlich agiler Roman einer Heldinnenreise: Anspruchsvolle philosophische Spaziergänge, romantische Höhenflüge im Schönsprachlichen, skurrile Dialoge im Chat-Stil und derbwüchsige Fluchergüsse. Ein verspielt angehauchter und zugleich warmherziger, würdevoller Umgang mit großen Themen: Freundschaft, Liebe, Familie, Krankheit, Geburt und Tod. Elegant verwobene Geschichtsfäden, fein sonderlich gezeichnete Charaktere und eine Prise Märchenhaftes. Dass die erfrischend herzens- und lebensgebildete Autorin für diesen kunstvoll komponierten, üppig ausstaffierten, intelligenten und witzigen Roman den Buchpreis bekam, erscheint mir auch rückblickend noch als eine wohltuende Insel der Literaturhoffnung. Gerne würde ich der Autorin nach einer Lesung einmal um den Hals fallen, aber das lasse ich doch lieber. Vor Enthusiasmus würde ich vielleicht sonst noch den Büchertisch umwerfen und ihren Roman durch die Luft segeln lassen. Mögen sie hoch fliegen, solche neue Heldinnen!

© Musenzeit 2024-11-11

Genres
Humor& Satire
Stimmung
Komisch, Informativ, Inspirierend