Verlängerter Urlaub 1

KSG

von KSG

Story

Ich wollte dir den Ort zeigen, an dem ich als Kind jedes Jahr zu Ostern meine Ferien verbracht habe. Dieser Ort bedeutete mir sehr viel und ich wünschte mir, dass es auch für dich sehr schnell so sein würde. Ich wollte dich mit in meine Vergangenheit holen. Ich fragte dich nicht, was du wolltest. Allerdings hatte ich mir den Ausflug auf meine kleine Nordseeinsel anders vorgestellt. Ich hatte dir schon viel von der Insel erzählt. Wir haben uns gemeinsam die alten Fotos angeschaut. Eine Gruppe Kinder am sonnigen Strand, die Jahreszahl in Muscheln vor uns in den Sand gelegt. Du hast mich zwischen den Kindern sofort entdeckt. Ich sagte dir, dass ich damals dachte, dass der Strand unendlich lang ist. Ich zeigte dir Bilder von mir, wie ich vor dem Meer einen bunten Drachen steigen lasse. Bilder, als junges Mädchen, lachend, weil mir das kalte Wasser in die gelben Gummistiefel gelaufen war. Ich wollte dir zeigen, wie weit und schön der Sandstrand ist und wie die Sterne nachts funkeln. Ich erzählte, wie ich den Sandstrand entlanggelaufen und gerannt bin und sagte zu dir, dass mir dieser kurze Moment scheinbar endlos vorkam. Ich sagte dir, dass ich immer sehr glücklich war, wenn ich durch das kleine Wäldchen ging. Ich habe früher immer meinen ganzen Ferien auf der Insel verbracht. Ich überredete dich, mit mir dorthin zu fahren. Du warst einverstanden ein verlängertes Wochenende die Insel zu besuchen. Ich sagte, am liebsten würde ich noch viel länger, als nur ein Wochenende bleiben. Voll Vorfreude konnte ich es nicht erwarten, dass du den Ort meiner Kindheitserinnerungen kennenlernst. Ich war mir sicher, dass dir dieser Ort dir bald ebenfalls viel bedeuten wird. Wir kamen am Fährhafen an und ich war nervös. Es fühlte sich an wie Lampenfieber, das Gefühl, dass etwas Wichtiges passieren wird. Wir hatten bereits eine Weile draußen am Kai gewartet, dann kam die Nachricht, dass die Fähre noch nicht starten konnte. Wir mussten erneut warten. Der Wind wurde stärker. Durchgefroren setzten wir uns in ein kleines Teehaus mit Blick aufs Hafenbecken. Es roch nach Tee und Vanille, Duftrosen mit großen gefüllten Blüten standen auf den Tischen. Wir wärmten unsere Hände an den heißen Teetassen mit hübschem blau weißem Dekor. „Sehe es einfach als Omen“, sagtest du zu mir, während du dunklen Kandis Zucker in deinen Tee rührtest. Trotz der Musik im Hintergrund hörte ich wie der Zucker mit leisem Knacken im heißen Tee auseinanderbrach. Du hast mir die silberne Zuckerdose mit eingraviertem Anker gereicht, aber ich lehnte ab. „Lass und ein gemütliches Zimmer nehmen und wir fahren morgen, wenn das Wetter besser ist, zu deiner Insel“. Ich wusste, dass dein Vorschlag vernünftig war, aber ich antwortete in kindisch trotzigem Ton, dass ich aber heute dort hin will. Du warst nicht sehr begeistert, dennoch nahmen wir die späte Fähre zur Überfahrt. Wir taten es, weil ich es wollte.

© KSG 2024-07-13

Genres
Romane & Erzählungen
Stimmung
Emotional