von Beate-Luise
Obwohl ich als mittelalte Frau schon viel gesehen und erlebt habe, gibt es immer wieder mir unbekannte, erstaunliche Tatsachen unter dieser Sonne. Sachen, die mich verblüffen, abstoßen oder erfreut zum Schmunzeln bringen. Folgendes erzählte mir kürzlich mein Cousin M, der seit dreißig Jahren als Betreuer in einer Wohngruppe für blinde Menschen arbeitet. Weil sie auch sonst ein wenig „anders“ sind, nennt M sie liebevoll „Tüdels“.
Eine von diesen zehn Tüdels ist die 33jährige Iris. Sie ist verliebt. Das Ziel ihrer Zuneigung wechselt häufig und sie verliebt sich immer bis über beide Ohren. Aber hey – sie liebt DINGE. Davon hatte ich noch nie gehört. Aber es gibt ja nichts, was es nicht gibt. Laut Wikipedia heißt dieses Phänomen – nicht zu verwechseln mit Fetischismus! – Objektophilie und scheint quasi bisher unerforscht. M schickt mir statt einer näheren Erklärung den kurzen Link zu Wikipedia.
Das erste Objekt von Iris‘ Leidenschaft war – eine Heißmangel! Hatte wohl irgendwie mit ihrer Kindheit zu tun, vermutet mein Vetter. Sie bestellte sich so ein Gerät, das zum Glätten von großen Wäschestücken dient, für mehrere hundert Euro. Aber die Glut ihrer Gefühle für das heiße Utensil erkaltete trotzdem bald.
Sodann verfiel sie nach einem Besuch mit der Wohngruppe auf dem Hamburger Dom (ein großer Rummel, der drei Mal im Jahr stattfindet) dem „Air Wolf“. Das war kein Händetrockner und kein muskelbepackter Kerl, der auf den Fahrgeschäften die Tickets einsammelte, sondern ein ebensolches: ein Fahrdings. Hoch und heftig. M unternahm mit Iris daraufhin einen Flug in einem echten Hubschrauber. Der war leider schnell vorbei, ihre Leidenschaft währte indessen länger.
Nachdem auch der Höhenflug des Gefühls für den Air Wolf wieder der Vergangenheit angehörte, kam die Titanic in die Reihe der Herzensdinge. Auf Postern, im Film und als aufblasbares Plastikobjekt. Wo die Liebe hinfällt…
Überraschend eroberte als nächstes ein Mensch aus Fleisch und Blut das Herz von Iris, nämlich ein jüngerer Mitbewohner der Gruppe, der ihr Gefühl allerdings nicht erwiderte. Doch das schien ihr nichts auszumachen. Offenbar schwelgt sie zufrieden im Zustand der jeweiligen Verliebtheit. Sie ist sozusagen verliebt in die Liebe. So hieß vor einem halben Jahrhundert ein Schlager von Chris Roberts. Keineswegs banal, dieser Titel, oder?
Brandaktuell und irgendwie auch pragmatisch war die folgende Liebe, die dem Impfstoff BioNtech galt oder womöglich noch immer gilt. Bei ihrer Corona-Impfung bat sie den Arzt darum, die Ampulle mitnehmen zu dürfen. Was ihr aus irgendwelchen rechtlichen Gründen nicht gestattet wurde. Als Ersatz shoppte sie im Internet eine Kette, auf deren Anhänger der Name des Vakzins prangt. Und ist happy damit.
Ich glaube, ich würde Iris mögen.
© Beate-Luise 2022-01-14