von Rosaria Helfer
Ich betrachte dich aus der Ferne und glaube eine Traurigkeit in deinen Augen zu erkennen. Du richtest deinen Blick in die Ferne, vielleicht deswegen, weil Nähe dich eventuell einengt – ich weiĂź es nicht. Nun ich kann mir vorstellen, vormachen, gedanklich abschweifen, wie es mir beliebt. Solange, du Adressat meiner Gedankenakrobatennummer hier, nie herausfindest, was in meinem Kopf vorgeht. Wenn dem so ist – dann tu ich es – ich verliere mich in deinen Augen – ich lass mich ein auf deine sanfte Stimme, ich bin entrĂĽckt ab deinem verunsicherten Lächeln, wenn ich mit dir spreche. Vieles wird mir nachgesagt, ich sei eine Powerfrau mit einem riesengroĂźen Herzen. Nun ja es stimmt, ich habe Pfeffer im Hintern, weiĂź aber auch – wenn meine Sanftmut, mein introvertiertes Wesen Vorrang haben sollte.
Wer hat dich so verletzt, dich in deinen Grundpfeilern destabilisiert, dass du in dieser melancholischen Ausstrahlung auf mich wirkst. Ich schau dich an und ein GefĂĽhl des dich BeschĂĽtzen-MĂĽssens ĂĽberkommt mich, ich kann es nicht kontrollieren – wenn ich ehrlich bin, will ich diesem Impuls nachgeben und dich in meinen Armen halten. Ein retrospektiver Blick zurĂĽck zu mir unterbricht mich jäh und ohne Vorwarnung in der Regie dieses schönen Films. Ist es gar eine Spiegelung meiner eigenen Unsicherheit? Ich weiĂź es nicht.
Ich schau dich an und erkenne hinter Nebeln – gut versteckt – ein verzerrtes Gesicht meiner VerfĂĽhrungskĂĽnstlerin. Doch das hilft mir – so denke ich – nicht ehrlich weiter. Befreit mich nicht aus meiner jahrelangen gut an modellierten SchutzrĂĽstung, entledigt mich nicht der gut antrainierten Verteidigungstaktik.
Wie versöhnlich, dass ich Gedanken niederschreiben kann – ihnen den Raum gebe, den ich uns beiden – da ich Feigling mit groĂźem Herzen – nicht initiativ geben kann. Ich kann getrost vor einem gefĂĽllten Saal eine Rede halten – und doch wĂĽrde ich mich nie trauen, dich direkt anzusprechen. Welch‘ Ironie des Schicksals – lächelnd fahre ich mir, mit meinen Tränen kämpfend, durch mein wuschelig gekraustes Haar – und stelle mir leise und unsichtbar vor – du wĂĽrdest es tun. Ich schaue in deine Augen und verliere mich – ich friere dieses Bild ganz innig ein, nähere mich deinen Augen, deinem Gesicht und kĂĽss dich sanft auf deine Lippen. Wie sie wohl schmecken? Mein Herz pocht ganz wild – gut dass diese Phantasiewelt – dieses mir eigene EntrĂĽckt sein – Schutz bietet – mich nicht zwingt, Farbe zu bekennen.
Vielleicht ist Melancholie dein Schutz – wer weiĂź. Vielleicht – wenn es Karma so haben möchte – hilft uns der Zufall ĂĽber meine RĂĽstung. Ja dann – smile – dann nähere ich mich deinen Augen, werde dein Gesicht ganz sanft und vorsichtig in meinen Händen halten und dich durstend auf deine Lippen kĂĽssen, in einem Bruchteil einer Sekunde jeden Schmerz – den deinigen und den meinigen – vergessen. Ach ja ich vergaĂź dir zu erzählen, habe heute folgende Tageskarte gezogen: „Heute ist ein guter Tag- um sich wieder zu verlieben“.
© Rosaria Helfer 2020-07-05