von Tina Regber
„Hast du schon mal darüber nachgedacht, was mit Socken passiert, die beim Waschen verloren gehen?“ Verständnislos sehe ich Alex an. „Ich schätze mal, die werden von der Waschmaschine geschluckt und verstopfen irgendwann den Filter oder den Schlauch“, antworte ich achselzuckend, ohne zu wissen, worauf er hinaus will. Er weiß doch, dass ich mich nicht mit Technik von Waschmaschinen auskenne.
„Bist du dir da sicher? Bei mir verschwinden ständig Socken beim Waschen und da war nie was verstopft.“
„Was ist deine Theorie?“
„Ich glaube, die Socken verschwinden durch ein Portal in ein Paralleluniversum. Die Menschen dort tragen nur verschiedene, weil die ja nie paarweise verloren gehen.“
Ich bin fasziniert, sehe jedoch einen Fehler in seiner Logik. „Wenn das wirklich so ist, wie du sagst, wo kommen dann die Menschen in deinem Paralleluniversum her?“
„Na die sind natürlich auch verloren gegangen.“ Sein Tonfall klingt, als hätte ich da selbst drauf kommen müssen. „In der Waschmaschine?“ Ich bin mir nicht sicher, ob wir dieselbe Unterhaltung führen. Alex verdreht die Augen.
„Natürlich nicht, du Schlauberger. Tu doch nicht so, als hättest du noch nie von ungeklärten Vermisstenfällen gehört. Du liest doch ständig Krimis und Polizeimeldungen.“
Kurz denke ich über die ziemlich abgedroschene Idee nach. „Aber du weißt, wie groß die Welt ist, oder?“, vergewissere ich mich vorsichtig. „Meinst du nicht, die Menschen, die nie gefunden werden, sind nur woanders, als vermutet wird?“ Jetzt nickt Alex. „Das sage ich doch die ganze Zeit. Sie sind woanders. In einer anderen Welt.“
„Und wie ernähren sich diese armen Menschen? Hast du schon mal von verloren gegangenen Lebensmitteln gehört? Wo wohnen sie? Gibt es Häuser, die plötzlich verschwinden?“ Ich habe mehr Fragen als Antworten.
„Hm. Wer weiß, wie dieses Universum entstanden ist und wie es funktioniert? Vielleicht sind die Menschen dort nicht arm, sondern können sich durch Gedankenkraft alles herbeiwünschen. Hey, vielleicht wünschen sie sich auch die Socken und das passiert nur zufällig immer beim Waschen.“ Das klingt jetzt weit hergeholt.
„Und du glaubst wirklich, dann würden sie sich immer nur einzelne Socken wünschen, weil ihnen Paare zu Mainstream sind, oder wie?“
„Klar, ich trage die ja auch immer einzeln.“
Ich grinse. „Ja, aber nur, weil die zweiten Socken von unserer Waschmaschine gefressen werden wie von einem hungrigen Biest. Und natürlich auch, weil du zu faul bist, die zu sortieren.“ Auch dafür hat er natürlich eine Erklärung. „Nein, weil ich diesen coolen Trend von Dobby übernommen habe.“
„Du meinst den Hauselfen aus Harry Potter?“, frage ich ungläubig. „Wirst du dann demnächst auch anfangen, einen Stapel gestrickter Wollmützen auf deinem Kopf zu tragen?“ Ich frage mich, ob es wohl unhöflich wäre, dann so zu tun, als würde ich ihn nicht kennen.
„Wenn du mir mehr strickst, werde ich sie auf jeden Fall alle gleichzeitig tragen. Ich könnte doch keine Mütze diskriminieren.“
„Hast du Hunger? Ich lade dich zum Essen ein“, wechsle ich das Thema, bevor er weiter ausführen kann. „Klar“, grinst Alex. „Ich hole nur noch schnell meine Wollmützen.“
© Tina Regber 2024-08-08