von Sternenkind
Es ist heiß, meine Schwester und ich liegen auf unseren Handtüchern am Strand. Wir plaudern und lassen uns von der Sonne trocknen. Da sehen wir ein Mädchen vorbeilaufen. Sie hat rosa Schwimmflügerl und einen dazu passenden Schwimmreifen in der Hand. Hektisch läuft sie den Strand entlang, wo ihr ein Italiener folgt, um sie zu stoppen. „Das ist das verlorengegangene Mädchen!“, ruft er dem Strandbademeister auf Italienisch zu, der neben uns auf seinem Aussichtstürmchen sitzt. Dieser springt herunter und will das Mädchen stoppen, er hält sie an der Hand. Das langhaarige Mädchen bekommt Panik und beginnt zu schreien: „Ich will zu meiner Mama!“ Der Italiener fragt, ob sie Italienisch spreche. Sie antwortet auf Deutsch. „Ich möchte nur zu meiner Mama!“, weint sie bitterlich. Schnell springe ich auf, laufe hin und biete mich als Übersetzerin an.
Ich frage, wie sie denn heiße und wie alt sie sei. So erfahre ich, dass ihr Name Daniela und sie sechs Jahre alt ist. Ich erfahre auch, dass sie einen Bruder hat und heute ihr Geburtstag sei.
Der Rettungsschwimmer sagt, sie solle hier warten, die Mama würde bald kommen. Ich übersetze und das Mädchen ist noch immer überzeugt, ihre Mutter wäre in der Richtung, wo ein rosarotes Handtuch liegt. Der Mann im roten T- Shirt mit der Aufschrift „SALVATORY“ entgegnet mir: „Nein, die Eltern kommen aus der anderen Richtung. Die Kleine scheint ganz schön zornig zu sein.“ Da erkläre ich ihm, dass sie Angst hat. Schließlich ist er ein fremder Mann und spricht eine Sprache, die sie nicht versteht.
„Ich arbeite hier“, entgegnet er und zeigt auf sein T-Shirt. „Ich weiß, aber das in Panik geratene Mädchen weiß das nicht!“
„Wir helfen dir“, versuche ich ihr zu erklären. „Der Mann hat mit deinen Eltern geredet, sie kommen gleich. Er sagt, sie sind noch 600 Meter entfernt.“
So versuche ich, das Kind abzulenken, frage sie, ob sie sich mit mir in den Sand setzt.
„Kommst du bald in die Schule?“ „Ja“, piepst das Mädchen und beruhigt sich langsam.
„Schön, dann lernst du schreiben und lesen.“
Sie meint, sie könne bereits ein wenig schreiben und lesen.
„Wie alt ist denn dein Bruder?“ „7 Jahre. Ich wohne in der Hiezingerstraße“, gibt sie mir preis.
„Du wohnst in Wien? Schön!“ Wir plaudern noch eine Weile, bis der Vater des Mädchens auftaucht. Der aufmerksame Bademeister erblickte ihn vom Aussichtstürmchen und teilt mir mit, dass er den Vater schon sehe. “Ja, wer kommt denn da?“, äußere ich gegenüber des Mädchens.
Sie steht auf und läuft zu ihm, fällt in die Arme ihres Papas. Man kann seine Erleichterung an seinem Gesicht ablesen. Wie sehr müssen sich Eltern wohl Sorgen machen, wenn ein Kind verloren geht?
Der Wiener bedankt sich mit einem „Grazie!“ beim Bademeister, meine Schwester und ich verabschieden uns ebenfalls und wünschen noch einen schönen Geburtstag. Ich denke, das beste Geschenk war, dass sie heil wieder bei den Eltern gewesen war und eine Sachertorte auf sie wartete. Das hatte sie mir verraten, als wir uns unterhielten.
© Sternenkind 2020-08-23