von Luisa
Das blutrote Licht der Abendsonne spiegelt sich in seiner verborgenen Sonnenbrille wider und wird seinen Schatten auf den menschenleeren Bahnsteig.
Vor mehreren Stunden sollte der letzte Zug aus Calvi in Bastia eintreffen aber er kam einfach nicht. Dabei hatte er sich schon so lange auf dieses Läuten der Glocken bei Einfahrt eines Zuges gefreut.
Freilich, als Vorsteher der Sicherheit am Bahngleis hatte er schon so viele Töne abgegeben, mehrfach die Stunde gegen das metallene Gehäuse die kleine Messingkugel im inneren Schlagen lassen. Bisher waren in den kleinen Bahnhof noch keine Wagen aus Calvi eingetroffen, wahrlich aus Bonifacio und nördlichen Städten der Insel, noch keiner aber aus Calvi.
Die Minuten verstrichen und der glühende Sonnenball küsste schon bald den See am Horizont und versankt voller Liebe in ihm. Soll er vielleicht auch heimkehren und sich zu Mutter ins Bett kuscheln? Sie könnte ihm lieblich über den Kopf streicheln und einreden, Vater würde schon so bald zurück sein mit Kisten voller Gold und sie müssten nicht weiter Betteingängern ihr Warmes bieten.
Er würde hier sitzen und auf den Zug warten, wenigstens einer sollte sein Versprechen halten und wenn Jürgen die ganze lange Nacht warten müsste. Das rote Dach, von dem zwar bereits die Farbe ab bröselte, würde dem Jungen ein Schutz vor Regen sein, der in dicken Tropfen jetzt auf die Erde fällt als wolle er sie untergehen lassen.
Jürgen saß alleine im Regen, früher vor Abgang des Menschen auf den er nun so lange wartete hatte diese stets darauf geachtet, dass sein Sohn sich keine Erkältung zuzog. Jetzt war das lächerlich. Damals vor einigen Jahren glaubte er der Person noch, die vorgab Jürgen immer und überall beschützten zu können aber das war falsch. Nichts konnte er. Sein Vater war einfach abgehauen als der Junge kurz davor war auf seine Schultüte breit grinsend zu zeigen und diesen Moment von seiner Mutter auf ein schmutziges Foto aufnehmen zu lassen. Jahrelang ließ er seiner Familie kein Lebenszeichen von sich zukommen.
Und doch verweilte sein Kind nun Stunde, um Stunde um ihn abzupassen und münzte das alles nur auf einen Brief, der für seine Mutter bestimmt war. Eine kleine Lampe im Büro des Fahrkartenverkäufers geht an. Sie strotzt nicht vor Helligkeit aber so kann Jürgen zumindest die gebogenen Zeiger erkennen. Die Uhr mit ihren verschnörkelten Ziffern zeigt ihm, dass er gut schon den halben Tag hier sitzen musste. Wenig später, kurz vor Anbruch der 14. Stunde seines Wartens vernimmt er einen leisen Pfiff und das Ächzen eines schweren Zuges auf den Gleisen.
Viele dutzend Kilometer trugen Schienen diesen einen verbleibenden Wagon über das Land. Die Bahn verliert mit jedem Meter, die sie auf Jürgen zu fährt an Geschwindigkeit und bleibt letztlich genau so stehen, dass dem Wartenden ein Blick durch das schmutzige Fenster ins Innere des Wagens gewährt wird.
Er kann den einzigen Fahrgast erkennen und der kommt ihm so unglaublich bekannt vor.
© Luisa 2022-06-26