Statt wie geplant in Passau, wo die Flüsse Inn, Ilz und Donau zusammenströmen und den Wasserpegel weiter steigen lassen, starten wir in Österreich. Am Anleger sind Gangways ausgelegt, meine alten Eltern gelangen gerade noch trockenen Fußes an Bord.
Dort erfahren wir, dass wegen Hochwassers nicht abgelegt werden kann, aber mit einem Gala-Abendessen sollen die Passagiere bei Laune gehalten werden. Von der offenen Bar im Heck habe ich Gelegenheit, den steigenden Wasserstand zu beobachten. Im Dunklen irrt eine Entenfamilie auf dem Fluss herum, vermutlich ist sie wohnungslos geworden wegen der überschwemmten Ufer.
Am nächsten Morgen ist Mutter krank: Blasenentzündung. Die Bordärztin bringt Tabletten, verordnet warme Unterhosen, Kaffee-Entzug und Verzicht auf Alkohol. Ihr Verordnungszettel ist leider kyrillisch unleserlich, aber sie kommt dauernd zum Blutdruckmessen.
Während ich bei der Masseurin liege und andere Gäste den Ausflug nach Melk absolvieren, legt das Schiff endlich ab, zügig und elegant gleiten wir flussabwärts nach Linz.
Viele Schleusen sind auf diesem Flussabschnitt, meist kombiniert mit Wasserkraftanlagen. Das Wetter ist herrlich, die Uferlandschaften abwechslungsreich: weite Auwälder, kleine Dörfer mit Kirchen, auf den Bergen gelegentlich ein Schloss, ein Kloster oder eine Burg.
Linz präsentiert sich in der Dunkelheit recht prächtig, das gläserne Kulturzentrum ist in wechselnden Farben aufwändig illuminiert.
In der Nacht schwelge ich in einer Einzelkabine, diese habe ich gegen das Versprechen von Verschwiegenheit und einer großzügigen Trinkgeldregelung erlangt.
Auf den Ausflug nach Wien verzichten wir. Ich freue mich, dass das Schiff endlich ablegt und will die Fahrt nach Grein genießen.
Alle Aufbauten am Oberdeck sind entfernt, das Glasgehäuse der Brücke weggeklappt und die Reling abgebaut, damit wir noch unter den Brücken durchpassen. Weil ich Magenschmerzen habe, bestelle ich mir einen alkoholfreien Milchcocktail, aber Bardame Tanja fragt „Warrrum?“. Nein, Milchcocktail sei völlig verkehrt, sagt sie, mixt irgendwas mit Banane und Sekt und versichert mir die heilende Wirkung. Ich bin fügsam und probiere es.
Es ist geruhsam hier hinten mit Blick auf die bewaldeten Hügel und Berge über dem Strom.
Wegen der Einzelkabine fühle ich mich verpflichtet, Umsätze auf dem Schiff zu erzeugen, gehe zur Massage, zur Friseurin und kaufe zweimal im Shop ein.
Abends beim Ablegen wundere ich mich, warum wir bergwärts fahren. Die Reiseleiterin bittet uns leicht genervt ins Restaurant. Mit dem dicken Kapitän an ihrer Seite bestätigt sie, was wir vermuten: Die Reise wird abgebrochen.
Die meisten Gäste verzichten auf Empörung, doch eine Frau pustet sich derart auf, dass die anderen ihren Unmut nun auf sie lenken.
Die Crew bemüht sich mit Folklore und Gesang um bessere Laune, danach packen wir die Koffer. Mein Vater scheint der einzige zu sein, der dies nicht bedauert.
© Gerda Greschke-Begemann 2021-02-14