Versuchsobjekt 245: 6

Faisal Ofosu

von Faisal Ofosu

Story

Wir gehen schon sehr lange in Richtung Norden. Es ist komisch. Sehr still. Abiku stellt mir manchmal Fragen, die ich nicht beantworten kann. Ich selbst war nicht lange draußen. Wie ich die Anlage verlassen konnte, weiß ich nicht mehr so richtig, aber eigentlich ist das ja auch egal. Ich war bis Weihnachten im Dorf, das hat mir gereicht.

„Kanntest du meine Eltern?“ Abiku klingt ängstlich, ich will ihm seine Frage nicht beantworten, aber die Blitze sagen mir, dass er ein Recht hat, es zu erfahren. Bin ich der richtige, um ihm das zu sagen? Ich stehe hier im Winter in blutroter, kurzer Kleidung. Ich habe sehr viele Menschen getötet, aber bereuen tue ich es nicht. Also schön. Ich erzähle es ihm. Aber es wird ihm nicht gefallen.

„Deine Eltern waren nette Leute, ein nettes Paar, das keine Kinder bekommen konnte. Sie waren oft bei der Dorfältesten um, um Rat zu fragen. Sie wollten immer wissen, ob sie etwas tun konnten, um normale Kinder zu bekommen.“

“Normale Kinder? Bin ich denn nicht normal?“

Ich bleibe stehen und drehe mich zu ihm um. Sein Blick ist vollkommen leer, er sieht mir nicht in die Augen, schaut stattdessen auf den Boden. Hat er Angst vor mir? „Wir sind nicht normal. Wir sind weit entfernt davon, normal zu sein. Normale Menschen fürchten sich vor uns, weil wir anders sind, weil wir Dinge tun können, die sie nicht tun können, aber weißt du, was ich glaube? Ich glaube, sie fürchten sich vor uns, weil sie uns nicht töten können. Zu töten ist ein fester Bestandteil des Menschen, wenn er nicht töten kann, fürchtet er sich. Das denke ich.“

„Hast du denn nicht auch getötet?“

„Ich habe getötet, in meinem Leben habe ich bereits tausende getötet, an die ich mich nicht erinnern kann.“

„Bist du dann nicht auch ein Mensch?“

„Ich bin stärker, klüger und schneller als ein Mensch, weißt du? Wie du. Zu töten bedeutet für mich nichts, denn sie haben es verdient. Die Dorfälteste hat mir vom Karma erzählt und dann hat alles begonnen Sinn zu machen. Menschen sterben erst, wenn sie es verdienen.“

„Wieso bin ich dann noch am Leben?“

„Weil du das Leben verdienst, so wie jeder andere auch.“

„Wieso war ich dann eingesperrt? Wieso war mir diese Welt verwehrt? Weil ich anders bin?“

© Faisal Ofosu 2022-07-20