von Anika Meyer
„Meer in Sicht!“ ich sitze auf Ava’s Schultern und kann das blaue Wasser mit unserem Fernglas erkennen. Ganz aufgeregt schauen wir uns an und jubeln. Kurz bevor der Fluss ins Meer mündet, legen wir an einer Bootsstation an, um Abschied zu nehmen. Lola reist weiter. Sie möchte über den Strudel, die nächstgelegenen Inseln erreichen.
„Danke für diese besondere Zeit. Ich wünsche euch Erlebnisse, so bunt wie die Farben des Regenbogens. Und schreibt mal ’ne Karte“, sagt sie, während das Floß in die weiten des Meeres hinaus schippert.
Für uns drei geht der Weg weiter. Per Anhalter in das Tal der Mondin, einer jahrhundertealten Felsenlandschaft in der unberührten Natur. Hier leben Menschen in alten Höhlen, aus glitzerndem Granit, gemeinschaftlich mit den Gesetzen der Natur. In der Dämmerung erreichen wir das Tal. Ich schaue mich um. Ein mystischer Ort. Ich kann die Kraft der Natur spüren. Der Wind fegt sanft über den Platz und verschmilzt mit dem Meer, das verspielt im Schein des Mondes funkelt. Ich erkenne eine Gruppe von Menschen, die um ein Feuer tanzen und welche, die mit Trommeln und Rasseln musizieren. „Da sind sie“, ruft Roxy und rennt auf die Gruppe zu. Ava und ich folgen ihr. Wir nehmen auf einem weichen Baumstamm Platz, der auf dem Boden neben dem Feuer liegt und lauschen mit allen Sinnen.
Neben mir sitzt ein Insulaner von der Nachbarinsel, sein Name ist Enea. „Zu Ehren der Mondin, kommen wir jeden Vollmond an diesen Ort“, sagt er. Wir begeben uns in ein tiefes Gespräch und teilen unsere Erlebnisse. Enea erzählt mir von der Phönix Erfahrung. Die dunkle Nacht der Seele. Er erklärt, dass jede Angst, die ich in mir spüre, wie ein Wegweiser funktioniert, die mich näher an meinen Seelenkern führt, wenn ich sie durchlebe. Dadurch, dass ich der Angst mutig ins Auge sehe, anstatt zu fliehen. Ich meistere die Herausforderung so lange, bis ich sie als positive, neue Erfahrung integrieren kann. So eröffnet sich mir, mit jedem Mal, wo ich als Phönix aus der Asche steige, eine neue Welt, die immer mehr meinem tiefen Sein entspricht.
Am späten Abend führt uns Enea zu einer verlassenen Bucht. Zwei Felsblöcke ragen hoch in den Himmel hinaus und formen mit ihren Körpern eine kleine, geschützte Höhle. Wir treten ein und ich fühle mich sofort tief mit der Erde verbunden und so beschützt, wie ein Säugling im Unterleib der Mutter.
Enea entzündet ein Feuer in der Mitte der Höhle. Ein warmes, oranges Licht umhüllt den Raum. Ich erkenne bunte Malereien an den Wänden und ein Spruch steht an der Decke. „Alles passiert aus einem bestimmten Grund, vertraue, du bist sicher.“
Ein warmes Gefühl von Dankbarkeit steigt in mir auf. Ich blicke zu Ava und Roxy, die den Abend ausgelassen getanzt und gelacht haben. Ava’s Augen verkörpern die pure Liebe, weit und offen schauen sie mich an. Roxy strahlt, sie strahlt in alle Richtungen, aus jeder Zelle ihres Körpers heraus.
Wir machen es uns auf dem Boden bequem, wo Enea drei Isomatten und Schlafsäcke für uns bereitgelegt hat. „Schlaft schön“, sagt er und verlässt die Höhle. Das Feuer knistert leise vor sich hin und ich kann das Meer rauschen hören.
„Danke, dass ihr mich mitgenommen habt, an diesen magischen Ort. Danke von Herzen“, sage ich. Dann falle ich in einen tiefen Schlaf.
© Anika Meyer 2023-08-29