von Ursel_Heinemann
Behäbig öffnete sich die Tür des Windfanges in Richtung Flur. Die darunter angebrachten Borsten schoben die zähe, gelbe und mit zerkauten Erdnüssen durchsetzte Masse, die den Fußboden überzog wie ein Teppich aus geschmolzenem Raclette-Käse, in Richtung Schuhschrank. Die kleine Welle, die dabei entstand, überspülte die Fußabdrücke ihrer weiß roten Farbratte und Mandy nahm aus dem Augenwinkel wahr, wie diese sich von der nahenden Brandung aus Wodka, Bier, Weißwein, Vanilleeis und Knabberkram vertreiben ließ. Ihre Ratte, ich weiß bis heute nicht, ob sie überhaupt einen Namen hatte, suchte Schutz auf dem nahen Eiland, das ihr Kopf ihr bot, rannte mit ihren kleinen klebrigen Füßchen über die rasierte Schläfe der unregelmäßigen Frisur zum hohen Kragen der bemalten und mit Nieten bewährten Lederjacke. Sie kuschelte sich zwischen der Leopardenfellapplikation und dem fast abgerissenen Schulterstück eines Brigadegenerals an die Seite ihres Frauchens. Zu koordinierten Bewegungen ohnehin unfähig, gab es keinen Versuch der Woge ihrer stinkenden Freudenlache auszuweichen. Sie schloss Mund und Augen und wartete, die Ratte im Nacken sitzend, bis die Suppe an ihr abgeprallt war.
Das bizarre Bild der Verwüstung, dass sich hinter dem Punk durch den ganzen Korridor und sicher auch den Rest der Villa zog, ergänzte sich, neben drei weiteren Individuen, durch einen komplett blau gefärbten West Highland Terrier, einen einbeinigen Wohnzimmertisch und den Armlehnen unterschiedlicher Bürodrehstühle, um einen roten Wischeimer, in dem eine Colaflasche mit braun verkohltem Flaschenhals schwamm.
Als ich meinen Rundgang durch die Wohnung im Storchenstil begann, hörte ich hier und dort das ächzende Stöhnen weiterer, wohl das Erbrochene ihrer Herrchen wiederum auskotzenden, Köter. Und trotz sperrangelweit geöffneter Fenster, stach der beißende Geruch von Fäkalien, Magensäure und überall immer noch schwelenden, Kippen in meine ungeübte Nase. Ob ich während meines Rundganges nur über Schnapsleichen oder wirklich tote Menschen stieg, vermochte ich nicht zu sagen. Ich durchschritt auf der Suche nach ein bisschen Normalität das gesamte Haus. In den Keller traute ich mich nicht.
Auf dem Weg, das Haus für den Rest meines Lebens zu verlassen, stieg ich über Berge an fauligem Obst, grünem Hackfleisch und ein pelziges Kopfkissen, das sich von der anderen Seite aus betrachtet als Brotlaib entpuppen sollte und trat in den Flur. Vor mir lagen zwei besoffene Teenager, die sich, den blauen Terrier an sich drückend, im Schlaf zu unterhalten schienen. Am anderen Ende der Diele lag Mandy. Die Rückseite ungleich trauriger war ein Loch in ihre schwarze Leggins gerissen. Sie trug keine Unterwäsche. Der Anblick ließ mir kalte Schauer über den Rücken wandern.
„Wenigstens hat sie sich so nicht eingeschissen“, sagte ich zu mir, nahm den roten Eimer, warf die Flasche beiseite und spülte ihr mit der stinkenden Brühe die Kotze aus den Haaren. Von der plötzlichen Kälte erschrocken zum Artikulieren eines einzigen Satzes befähigt, presste sie, eine Frage aus dem Hals:
„Nümmssu mich midd Bappi? – Bitte.“
© Ursel_Heinemann 2024-07-10