von Daniela Neuwirth
Im Zimmer im urtypischen Friesenhaus mit Reetdach lässt sich Gina in das große, weiche Bett auf die weichen Kissen fallen wie lebensfrohe, unschuldige Kleinkinder in ein Bällebad, durch die offene Balkontüre weht Nordseewind, was eine bezaubernde orientalische Tempel-Stimmung schafft, während die Abendsonne mit Licht und Schatten an den Zimmerwänden spielt, an denen goldgerahmte Ölgemälde von Segelschiffen in wilden Ozeanwellen das Weiß unterbrechen.
Der Zukünftige steht an den Balkontürrahmen gelehnt zwei Meter entfernt von ihr und blickt in die Ferne zu den Dünen, inmitten derer das Friesenhaus liegt wie eine fruchtbar-grüne Oase in den Sandbergen der Sahara. Sie schließt die Augen, weil die Stimmung fast unerträglich leicht und zauberhaft wirkt, aber sie sich doch so gerne darin badet. Plötzlich schießt ihr ein Gedanke durch den Kopf. “Und meine Wohnung?”
Ein Geistesblitz unterbricht die friesische Idylle. Ihr fällt ein, dass es da eine Person gibt, die unbedingt mehr Lebensraum haben wollte, weil sich deren Familie vergrößern wird. “Ich muss Lica anrufen.” Er drückt auf die On-Taste am Laptop und stellt ihr Google-Meet zur Verfügung, als hätte er sonst nichts zu tun, als ihr die Wünsche von den Augen abzulesen und für deren Erfüllung zu sorgen – was ihm bisher sehr gut gelingt.
Sie schreibt Lica eine SMS, damit sie an ihre E-Mails geht, steht auf, beachtet, was im Hintergrund zu sehen ist und zieht die Lippenkonturen kräftig nach, damit sie einen Farbtupfer im Bild hat. Das Strahlen ihrer weißen Zahnreihe zwischen breit grinsenden Lippen lässt Lica gleich auf die Idee kommen, dass sich auch ihr Wunsch erfüllt hat. „Und? Wie sieht es aus? Tauschen wir?“ Die Nachbarin steht auf und zeigt ihren Bauch im Profil.
Gina kneift die Augen zusammen und guckt genauer hin. „Soll ich da etwas erkennen? Ich finde, der ist so wie immer.” Lica setzt sich und schmollt. „Ja, ich weiß. Es wird noch ein bisschen dauern. Aber es ist schon da!“ Die Redakteurin atmet tief durch. „Das merke ich. Schließlich verändert dieses kleine Geschöpft bereits alles.“ Lica nascht von einem ihrer frischen Desserts, mit denen sie regelmäßig aufwartet und die Gina vermissen wird. „Tja, ich bleibe hier.”
“Wieso? Brauchst Du Hilfe?”, fragt Lica besorgt. „Nein! Keine Sorge! Guck Dir das an!“ Gina hält ihre rechte Hand hoch und dreht die Oberseite der Hand zur Kamera. „Was ist das? Hast Du den geklaut und nun wirst Du eingekerkert?“, scherzt die Nachbarin, während ihr die weiße Katze auf die Oberschenkel hüpft, weiter auf den Tisch und über die Tastatur spaziert, weshalb die Verbindung unterbricht. Der Bildschirm ist dunkel.
„Oh Peggy!“ Er stellt Gina ein Getränk aus der Minibar neben den Laptop. „Meine Katze!“, lacht sie. „Dann brauche ich einen Kater, damit sie sich nicht alleine fühlt bei uns.“ Es dauert eine Minute und das Bild ist wieder on. „Was war das?“ Lica hatte Zeit, klare Gedanken zu fassen. „Ring.“ Mr. Big sitzt hinter Gina. „Ist der von ihm?“
© Daniela Neuwirth 2023-04-18