von Büchermädchen
Montag – 15 Uhr. Schularbeit morgen. Bestimmen Sie die Wahrscheinlichkeit, dass bei zweifachem Zug ohne Zurücklegen eine rote und eine blaue Kugel gezogen werden.
16: 50 Uhr. Prüfung Mittwoch. Welche Folgen hatte der Zweite Weltkrieg?
17:45 Uhr. Test Mittwoch. Was ist das Besondere an Beethovens 5. Sinfonie?
18:25 Uhr. Prüfung Donnerstag. Erkläre die Konstanzphänomene von Konrad Lorenz.
19:10 Uhr. Schularbeit Freitag. Laudabam, laudabas, laudabat, laudabamus, laudabatis, laudabant. Vox, vocis, voci, vocem, voce, voces, vocum, vocibus, voces, vocibus. Amatus/a/um sum, amatus/a/um…
20 Uhr. Hausübung morgen. Lesen Sie den Text. Fassen Sie zusammen, was das lyrische Ich über sich selbst erzählt.
20:30 Uhr. Hausübung morgen. Completa con i pronomi doppi.
20:50 Uhr. Hausübung morgen. You are going to listen to a report about a new scientific achievement.
21:35 Uhr…
»Scheiße!« Es ist halb zwei am Morgen. Vier aufgeschlagene Bücher, zwei Hefte, ein Bleistift, ein Radiergummi und zwei Kugelschreiber liegen vor mir ausgebreitet am Tisch. Ich muss eingeschlafen sein. Gähnend nehme ich einen der Stifte wieder in die Hand und versuche mich auf den nächsten Satz meiner Biologie Hausübung zu konzentrieren. Als ich – den Kopf auf meine linke Hand gestützt – übermannt von Müdigkeit wieder einnicke, gebe ich es schließlich auf und lasse mich unzufrieden, meine Arbeit nicht vollenden zu können, in mein Bett fallen. Vier Stunden später sitze ich mit meinen Eltern am Frühstückstisch und lese mir mit schweren Augen noch ein letztes Mal durch, wie man eine Kurvendiskussion aufstellt. »Leg doch endlich das Buch weg. Wenn Einer die Schularbeit schafft, dann du!«
Kaum bin ich in der Schule angekommen, werde ich von den anderen mit Fragen zu allen möglichen Themen, die heute in Mathe abgeprüft werden, bombardiert. Wie macht man dies? Wie rechne ich das? Kann ich kurz die Italienisch-Hausübung ausborgen? Kommt das Thema auch? Am liebsten würde ich sie alle anschreien. Macht eure Arbeit selbst! Passt im Unterricht besser auf! Schaut euch die Aufgaben zu Hause an! Stattdessen bleibe ich still und lasse die Dinge über mich ergehen, bis endlich unser Mathematik-Lehrer den Raum betritt. Als er wenig später die Aufgabenblätter austeilt, zittert meine Hand. Ich bin müde und die Buchstaben auf dem Papier vor mir drehen sich. Es fühlt sich an, als wäre ich in Trance. Als würde mein Gehirn von allein arbeiten. Zwei Stunden später gebe ich ab. Als der Lehrer meine Blätter entgegennimmt, lächelt er mich an, als wüsste er bereits, dass meine die beste Arbeit sein wird. Als würde er es hoffen. Als würde ich ihn sonst enttäuschen.
In der nächsten Stunde bekommen wir einen Test zurück, die Lehrerin legt mir eine schlechte Zwei vor. »Was war los?« Ich antworte nicht, verdrehe nur die Augen. Hinter mir höre ich ein verzweifeltes Seufzen von Jenny.
© Büchermädchen 2022-08-25