Vielleicht schreibe ich ihr heute?

Story

Schon tagelang wartete sie auf das heutige Datum. Nein, sie wartete nicht wirklich, sondern hatte es vielmehr im aufmerksamen Blick oder wartete auf eine Antwort, die ihr aus dem schönen Nichts entgegen kommen sollte. Nicht um zu wissen, wie sie reagieren soll. Na, obwohl, reagieren ist nur dann möglich, wenn vorher eine Aktion stattfand. Die gab es allerdings nicht. In diesem Sommer schon seit 10 Jahren nicht mehr. Dann ist es wohl eher die Frage, ob sie agieren soll. Und dann die Frage, des Wie?

Sie hatte eine Freundin. Ihre beste und erste und einzige für viele Jahre. In der selben Siedlung aufgewachsen, zusammen den fußläufigen Kindergarten besucht, die Grundschulklasse geteilt, ebenso die weiterführende Schule und zahlreiche, kostbare gemeinsam erlebte Momente. Und Jahre. So verschieden, wie man nur sein konnte, hatten sie doch einander gern. Jeder war auf seine Weise und gemeinsam war die Zeit wunderbar, voller Heiterkeit und Verständnis füreinander. Sämtliche Probleme und Fragen die sie hatten, stellten sie sich gegenseitig in stundenlangen Telefonaten, Spaziergängen und Treffen. Über Jahre hinweg. Alles wussten sie voneinander. Oder eher vieles. Denn wie es so ist, oder oft ist, immer gefürchtet und in zahlreichen Filmen und Büchern und Zeitschriften thematisiert, kam ein Mann dazwischen. Eher damals noch ein Junge. Die erste Liebe, die aufgeregt mit der besten Freundin zelebriert wird, ja totgequatscht wird. Die erste Liebe kam schlagartig, nahm einen Platz ein. Einen immer wichtig werdenden Platz. Zwischen den beiden.

Eine beste Freundschaft möchte auch gepflegt werden. Es soll sich gekümmert werden. Gegenseitig. Der eine um den anderen. Es soll gerne geschehen und ganz ohne das Gefühl von Verpflichtung. Eine beste Freundschaft braucht Zeit. Zeit die miteinander verbracht wird. Um auf die schon erlebten Momente weitere folgen zu lassen, die sich in unserem Herz, in unserer Erinnerung einschliessen und den anderen Menschen so kostbar und wertvoll machen.

Und dann war da dieser Junge, der mehr war, als nur aufregend und eine netter Kontakt zu einem Jungen. „Den werde ich mal heiraten,“ sagte sie 14-jährig. Voller Naivität, voller Zuversicht, an alle Liebesfilme denkend, voller rosa Wolken im Kopf und noch mehr glitzernden Schmetterlingen im Bauch. Doch wer kann im zarten Jugendalter schon eine Beziehung führen? Sie wollte es und sie schafften es. Heute ist sie verheiratet. Mit dem selben Jungen von damals, der heute ein Mann ist. Und sie ist eine Frau geworden mit einer gemeinsamen Tochter an der Hand.

Heute ist der Tag, an dem ihre beste Freundin Geburtstag hat. Einen runden. Vor 10 Jahren hat sie ihr das letzte Mal gratuliert. Soll heute der Tag sein, an dem sie ihr erstmals seit langer Zeit wieder gratuliert? Plötzlich hörte damals die Freundschaft auf. Weil ich sie beendet hatte.