von Melissa Kiefl
Eyrobus Qillhand war der Anführer des Assassinennetzwerks der Hauptstadt. Er hatte sich seinen Status verdient, indem er Intrigen schmiedete, für die andere mit ihrem Leben bezahlten. Ich gehörte einst selbst zu seinem inneren Zirkel. Ich war eine der fünf besten Assassinen des Landes gewesen, stets treu ergebene Dienerin und ausführende Gewalt seiner Gräueltaten. Bis er sich mit den Dämonen einließ. Seit diesem Zeitpunkt war ich auf meiner Mission. Eyrobus finden. Ihn töten. Die Dämonen in ihre dreckige Unterwelt zurückschicken. Und natürlich Anführerin der Assassinen werden. So einfach sich mein Plan anhörte, leicht war er nicht umzusetzen. Bisher hatte ich bei meiner Suche nach Eyrobus nicht sonderlich viel Glück gehabt, denn er war ein Meister des Versteckens. Aber seine Dämonenbrut war nicht unbesiegbar, und ich hatte die Informationen, die ich brauchte, um ihn auszuschalten. Genüsslich sog ich den Duft nach abgestandenem Bier und kaltem Rauch ein, der dem Queens Inn seinen Charakter verlieh und stocherte in meinem Haferbrei herum. Als die orangene Abendsonne wie eine stumme Warnung durch die Fenster der Gastschenke schien, schnappte ich meine Dolche und streifte meinen schwarzen Mantel über. Ich ging zum Stall, um Angel etwas Gesellschaft zu leisten und ignorierte dabei die eisige Kälte, die meine Wangen taub werden ließ. Die Wolfsstute wusste genau, dass ich heute ohne sie aufbrechen würde, was ihr nicht sonderlich gut gefiel. Aber sie war eben zu groß und zu auffällig, als dass sie mich beim Auskundschaften des Lagerhauses am alten Fischerhafen begleiten konnte. Mit einem Blick in ihre großen, wachsamen Augen verabschiedete ich mich.
Während die Abendsonne ihre letzten Strahlen an die hohen Wände der dunklen Häuser warf, schlich ich unbemerkt durch die Straßen in Richtung Hafen. An diesem Abend waren die Gassen leer, nicht eine Menschenseele war so wahnsinnig, sich bei dieser Witterung nach draußen zu begeben. Mal davon abgesehen, dass auch niemand sonderlich erpicht darauf war, einem von Eyrobus Repräsentanten in die Arme zu laufen. Sie ernährten sich von den Schreckensvisionen ihrer Opfer, labten sich an ihrer Angst, bevor sie sie in Stücke rissen. Eine Begegnung, auf die auch ich heute Abend verzichten konnte. Aber das Schicksal war da wohl nicht ganz meiner Meinung, denn im Schatten des hölzernen Eingangstors zum Fischerhafen sah ich ihn herumschleichen. Sein weißer Umhang hob sich von dem in der Dämmerung liegenden Hafentor ab wie eine Säule, die offenbar dazu abgestellt wurde, den Eingang vor unerwünschten Eindringlingen zu schützen. Wie gut, dass ich genau das befürchtet hatte und mir von Tomsen die Pläne zu den Abwasserkanälen rund um den Hafen hatte geben lassen. Langsam schlich ich nach links, bis ich eine alte, verlassene Fischerhütte erreichte, in deren Hinterhof sich laut Tomsens Recherchen ein Eingang zu den Abwasserkanälen befand.
© Melissa Kiefl 2022-08-25