von Mia Steinmann
Es ist komisch, wir alle sitzen am selben Ort sehen dieselben Dinge und haben trotzdem allesamt die verschiedensten Gedanken, Ängste, Träume. Der da, in der ersten Reihe, vielleicht war er nie gewillt in der ersten Reihe zu sitzen, vielleicht war er am ersten Tag einfach zu spät dran, hatte verschlafen und keiner seiner Freunde hatte ihm einen Platz freigehalten. Oder sie in der zweiten Reihe, perfekter Ausblick auf das Lehrerpult, Ausschnitt so tief, dass sie glatt im Bh antanzen könnte und man würde keinen Unterschied bemerken, wir wussten doch alle das sie nicht aus Langeweile an ihrem Stift herumkaute, sie und unser Lehrer hatten etwas, da war sich jeder sicher oder wie sollte sie sonst an die mündliche eins gekommen sein? Wegen ihres schönen Lächelns? Ich bitte euch. Ich fragte mich nur manchmal was ihr Verlobter davon hielt, galt das schon als Ehebruch? Na ja, interessierte mich ja auch eigentlich nicht. Achso und dann war da noch er.. die bronzefarbenen braunen Haare perfekt zu einem Mittelscheitel gekämmt, trotzdem waren sie noch voluminös, als hätte er sie gerade eben erst geföhnt, sitzend als habe er nie etwas anderes getan, genau eine Reihe vor mir, ganz rechts. Ich habe noch nie einen so schönen Menschen gesehen wie ihn, und das wusste er. Also nicht das ich ihn schön fand, atemberaubend schön, nein das ihn jeder schön fand, wenn auch nur ein bisschen. Er hatte diese Energie, diese Aura, dass er alle Blicke an sich nahm, sobald er den Raum betrat, Alles, was er machte, zog die Blicke an, wie die Motten das Licht. Jeder wollte mit ihm befreundet sein, ihn besser kennenlernen, seine Vergangenheit wissen. Doch man munkelte, dass er jemals nur beim Sex über sich gesprochen habe, wenn er wusste, er würde seine Gemahlinnen nie wieder sehen, dann soll er gesprochen haben, wie ein Buch und ich wünschte, wirklich aus reinem tiefstem Herzen, er würde vielleicht auch einmal mir einen Blick in seine Gedanken zulassen. Nur ein Panorama, für einen Augenblick. Vielleicht würden das meine Gefühle für ihn in Luft auflösen lassen? Ich würde doch hoffen. Ja ich wollte wissen, was er dachte, Ja ich wollte seinen Charakter kennenlernen, seine Familie, seine Hobbyaktivitäten. Ich wollte ihn kennenlernen, mit allem, was er war, mit allem negativem, positivem, unschlüssigem. Ich wollte ihm bei schwierigen Entscheidungen Ratschläge geben. Ich wollte ihm meine Schulter zum Ausheulen anbieten. Ich wollte der Grund für das Lächeln in seinem Gesicht sein. Ich wollte, ich … Ich zuckte zusammen als das Schulklingeln das Ende des Unterrichts ankündigte. Erst jetzt bemerkte ich wie alle anderen schon fast fertig mit einpacken waren und anfingen ihre Stühle aufzustuhlen und … oh Gott, habe ich ihn etwa so lange angestarrt? Als ich mich noch einmal wagte in seine Richtung zu schauen, erstarrte ich, ich blickte in flüssige dunkelbraune Augen, mit ein paar grünen sprenkeln. Die schönsten Augen die ich je gesehen hatte. Noch nie so nah, noch nie so, echt. Warte, wusste er das ich ihn angeschaut hatte? Dass ich ihn fast immer anschaue? Oder war das ein Zufall? Sofort fühlte ich die Hitze in meine Wangen aufsteigen, mein Gesicht musste nun einer Tomate ähneln, sollte ich ihn ansprechen? Überforderung, Panik füllte meinen Körper, ich drehte mich weg, nachdem er mir meine Entscheidung abnahm, mich abfällig musterte, und ging.
© Mia Steinmann 2024-12-25