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QTwritings

von QTwritings

Story

Ich erinnere mich daran, wie ich am Küchentisch saß und meine Hausaufgaben machte – Deutsch musste ich lernen. In meinem Haushalt sprach niemand außer mir richtig Deutsch, na ja, und das Gebrabbel meiner dreijährigen Schwester. Meine Eltern sprachen mit starkem Akzent – gebrochen war es nicht. Es war nie ganz da, um gebrochen zu sein. Doch das hielt meine Mutter nicht davon ab, an ihrer ehrgeizigen, so genannten asiatischen Erziehung festzuhalten. Ihre Tochter würde eines Tages Ärztin sein, das stand für sie fest. Also lernte ich Fabeltexte auswendig, schrieb sie Wort für Wort nieder. Mein tägliches Gehirntraining.

Der Duft von frisch gemachten Frühlingsrollen lag in der Luft, das heiße Öl zischte in der Pfanne. Sollte ich Mama sagen, dass mich beim Frühstück wieder gehässige Kommentare erwarten? Dass sie mich auslachen werden, weil mein Essen anders riecht, weil meine Mutter nicht wie ihre Mütter ist? Nein, lieber nicht. Sie war doch schon gestresst genug.

Ich blickte aus dem Fenster und ließ meinen Blick zum Himmel wandern. Wie es meiner Familie auf der anderen Seite der Erde wohl geht? Ob Opa sich wieder erholt hat? Ach nein, sie schlafen bestimmt schon. Uns trennt nicht nur die räumliche Distanz – wir leben in unterschiedlichen Zeiten. Wie sehr ich mir doch wünschte, dass wir alle beisammen sind. Dass es nicht so schwer ist, zusammenzubleiben. Damals dachte ich, es würde irgendwann leichter werden. Dass wir irgendwann einfach dazugehören würden. Heute weiß ich es besser.

Noch immer werde ich gefragt, wo ich wirklich herkomme. Noch immer werden meine Qualifikationen infrage gestellt, mein Name falsch ausgesprochen, meine Herkunft in einen Satz mit „Exotik“ gepackt. Noch immer lachen sie über mein Essen – nur dass es jetzt „hip“ ist, in trendigen Restaurants serviert, während es früher einfach nur „eklig“ war. Ich bin hier geboren, aufgewachsen, zur Schule gegangen. Ich habe alles getan, um mir nichts anmerken zu lassen – bloß nicht auffallen, bloß nicht anders sein. Aber es reicht nie. Es war nie genug.Die Zeiten haben sich geändert, aber die Blicke sind dieselben geblieben.

Ich denke an die wenigen Tage im Jahr, an denen ich meine Familie sehe. An die Nächte in Vietnam, wenn ich mit meinem Cousin auf dem Moped durch die Straßen fahre, der Wind durch mein Haar weht, das Mondlicht auf dem See glitzert. Wie leicht sich das Leben anfühlt, frei von Fragen, frei von Erklärungen.

Dann komme ich zurück. Zurück zu den schiefen Blicken, den Fragen, dem unausgesprochenen Zweifel. Ich spüre, wie sich die Distanz zu meiner Familie vergrößert und sich gleichzeitig die Distanz zu meinem Leben hier nie verringert hat.Ich wollte immer, dass all das irgendwann ein Ende hat. Dass ich eines Tages sagen kann: Jetzt gehöre ich dazu. Doch vielleicht geht es gar nicht darum, dazuzugehören. Vielleicht geht es darum, sich seinen Platz einfach zu nehmen – ganz egal, ob andere ihn einem zugestehen.

Vielleicht ist das der wahre Kampf. Nicht, irgendwo hineinzupassen, sondern dort zu bleiben, wo man ist, ohne sich entschuldigen zu mĂĽssen.

© QTwritings 2025-02-17

Genres
Romane & Erzählungen
Stimmung
Herausfordernd, Emotional, Inspirierend
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