Vipassana in Chiba, Tag 3

Clarissa_Smiles

von Clarissa_Smiles

Story

Der Himmel begann sich einzutrüben, die Temperatur sank und leichter Regen stellte sich ein. Duschen, Toiletten und Teeküche befanden sich in einem halboffenen Bau. Es wurde zugig und unfreundlich. Aber die unangenehmste Nebenerscheinung war die Wäsche, die in der Luftfeuchtigkeit keinen Deut trocknete.

Auch nasse Schuhe bereiten keine Freude. Da die Wege stellenweise von Rasen überwachsen oder löchrig waren, waren meine Schuhe nach ein, zwei Fehltritten fürs Erste mal unbrauchbar.

Nach der Abendmeditation hat diese religiöse Gruppe oder soll man besser Sekte sagen, die Gepflogenheit, den als Studenten bezeichneten Teilnehmern ein Video mit ihrem verehrten Mister Goenka vorzuspielen. Den Japanerinnen wurde eine ins Japanische übersetzte Version zuteil.

Als einzige Ausländerin hatte ich das Privileg, dem Meister im Originalton zu lauschen. Dafür wurde ich von der Managerin (beschönigend für Aufseherin) zum Areal der Männer gebracht. Unter den Männern war einer Schar von Asiaten, vermutlich Koreaner, die sich auch das Originalvideo anschauen durften oder mussten. Kein Blickkontakt, edles Schweigen, still sitzen, am eigenen Leib verspüren, was ein paar Minuten Ausgang und ein paar Bilder, die sich bewegen, einem Gefangenen bedeuten.

Die Maßregelung der Managerin brachte mich aus meinem etwas entspannteren Zustand. Ich ertrug so gegen neun Uhr abends die Schneidersitz-Position nicht mehr und hatte die Beine ausgestreckt, ein fürchterlicher Fauxpas, eine schreckliche Beleidigung für den ehrwürdigen S.N.Goenka. So sammelte ich recht rasche Eindrücke davon, wie sich ein Mensch mit gesundem Hausverstand erlebt, wenn er in ein totalitäres System schlittert.

Dass ich in diesem Straflager, so wie ich es empfand, nie und nimmer eine Stufe der Erleuchtung erklimmen wurde, war mir spätestens am dritten Tag klar. Wir würden am dritten Tag eine erweiterte Vipassana-Initiation empfangen. Das würde wohl etwas sein, was wie der Blitz einfährt, dachte ich. Mitnichten.

Nachdem ich jede Hoffnung begraben hatte, dass das verkrampfte, monotone, schier endlose Stillsitzen etwas Positives bewirken konnte, versuchte ich mich mit reinem Durchhalten zu motivieren. Meinen Angehörigen gegenüber würde ich mich lächerlich machen, wenn ich diesen sogenannten Kurs abbreche. Um jeden Preis müsste ich also die vollen zehn Tage durchhalten, auch wenn sie für mich nichts als Trostlosigkeit bedeuten.

Ich begann meine Einstellung und meinen Zustand zu hinterfragen. War es Ungeduld, war es Selbstmitleid, war meine Erwartungshaltung zu hoch, hätte ich den Kurs nicht ausgerechnet in Japan machen sollen, war ich feig, zu bequem, zu kritisch, voreingenommen, lag es an mangelnder Ausdauer? Es war sehr undankbar von mir. Man hatte mich aufgenommen, mir Verpflegung und ein Lager zu Verfügung gestellt, unterwies mich in Meditation. Mir war daher viel Zeit gegeben, um in die Stille zu gehen, und das passte mir nun nicht?

© Clarissa_Smiles 2021-03-01

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