Visionen im Alter?

Ulrike Sammer

von Ulrike Sammer

Story

Jeder Mensch verfügt über innere Kräfte, die zum Großteil noch ungenützt sind. Die Chance, Visionen zu entwickeln, haben wir alle – Dank unserer geistigen Kapazität und sie hängt nicht von einer überragenden Intelligenz ab. Wir sind zu mehr fähig, als wir bisher geglaubt haben.

Da ich aber keineswegs mehr jung bin, frage ich mich, wie lange es sinnvoll ist, Visionen zu haben. Man könnte meinen, dass man sich selbst frustriert, wenn man immer einem unerreichbaren Wunsch hinterherläuft. Da ist es offenbar notwendig, kritisch zu überprüfen, was zwar schwierig, aber nicht unmöglich zu erreichen ist. Das führt zu der Frage: wie kann ich offen, lustvoll, angeregt, aber auch weise älter werden? Wie kann ich meine Lebendigkeit im Herzen und in meinen Gehirnwindungen aufrechterhalten?

Ich musste schon von so Vielem Abschied nehmen: vom Skifahren und vom Eislaufen, vom Bergwandern und vom Tanzen. Meine Wirbelsäulenprobleme haben mir diese Abschiede aufgezwungen. Die Abschiede von geliebten Menschen waren aber besonders einschneidend. Heute weiß ich, dass ich nicht mehr langfristig planen kann, denn es kann mir immer wieder etwas einen Strich durch die Rechnung machen. Diese Lehre musste ich oftmals zur Kenntnis nehmen. Aber auf diese Weise gab es auch völlig unerwarteten Wendungen in meinem Leben.

Zwei Beispiele dazu: als mein Mann, mit dem mich so unendlich viel verband, starb, hatte ich das Gefühl, dass alles nun zu Ende wäre. Keine Zweisamkeit, keine Zärtlichkeit, keine Innigkeit, keine Geborgenheit, keine gemeinsamen Unternehmungen, keine Abenteuer und kein Austausch über die vielen kulturellen Sternstunden, die wir so genossen haben!

Und wie sieht es jetzt aus? Ich habe ein paar wunderbare Beziehungen für verschiedene Lebensbereiche und fühle mich vom Schicksal reich beschenkt!

Und ein anderes Beispiel eines unerwarteten Umschwungs in meinem Leben: Ich schreibe seit vielen Jahren. Im Dezember des vorigen Jahres kam mein 14. Buch in den Handel und ich beschloss, dass das Ende meiner schriftstellerischen Tätigkeit gekommen war. Ich wollte nicht mehr für ein Buch jahrelang recherchieren. Zuerst fühlte ich mich erleichtert, denn jedes Buch bedeutet auch viel Knochenarbeit. Nach einiger Zeit merkte ich aber, dass meinem Leben das „Salz“ fehlte. Da lief mir sozusagen „story.one“ über den Weg und ich wusste sofort: das ist es! Jetzt kann ich nach Lust und Laune schreiben, ohne dass ich mich auf etwas sehr Langes und auch mitunter Frustrierendes einlassen muss. Ich kann jederzeit unterbrechen oder auch ganz aufhören. Das nimmt viel Druck von mir!

Nun habe ich gelernt: Visionen sind nicht das Ziel, sondern die Zielsetzung, die wir brauchen um das eigene Potential auszuschöpfen. Visionäre Menschen wie Albert Einstein oder Mutter Teresa ließen sich jedenfalls nicht durch ihr fortschreitendes Alter auf ihrem Weg irritieren.

© Ulrike Sammer 2020-08-19

Hashtags