Visitenkarten

KSG

von KSG

Story

Ich frage mich, ob die Frau, die ich einmal war, noch vorhanden ist. Wie ein Grundzustand, zu dem ich re-setten kann, oder aber rudimentär, wie unnütze Anhängsel. Keine verblasste Erinnerung an einen Traum. Vergessene Wirklichkeit.

Es ist 5 Uhr und ich stehe ungeduscht, schlimmer: noch im Schlafanzug am Gartenzaun. Der Schlafanzug ist genau genommen die gestreifte Schlafanzughose und ein altes Sweatshirt. Ich habe auch die Zähne noch nicht geputzt, die kurzen Haare stehen in alle Richtungen. Passend zur ungeschnittenen Hecke, zum ungemähtem Gras. Ich werde mich gleich wieder ins Bett legen. Diese Müdigkeit!

Die Frau damals, ist nicht nach draußen gegangen, ohne chic auszusehen. War morgens wach und nicht müde, stand nicht nachts verschlafen am Zaun. Damals waren die Schlafanzüge noch neu. Wurden nur zur Schlafenszeit getragen, nur im Bad und im Schlafzimmer. Nicht am Gartenzaun. Auch im Bad und im Bett nicht ungeduscht, die langen Haare regelmäßig gekämmt, die Zähne geputzt.

Der Vorgarten, so habe ich einmal gehört, sei die Visitenkarte des Hauses. Ich habe Sträucher gepflanzt. Als sie klein waren. Sie sind nun viel größer als ich.

Ich gehe ins Haus. Keine Fotos der jungen Frau mit langen Haare, nur ein paar Spiegel. Verschiedene Spiegel. Nicht zusammen passende. Nicht in irgendeiner Form ähnlich aussehende Spiegel. Die Spiegel, die am längsten hier sind, haben einen dekorativen Rahmen. Die mittlere Periode in der Chronologie, in der dir Spiegel hier verteilt wurden, ist schlicht. Schließlich folgen Fundstücke. Es genau betrachtet doch sehr viele Spiegel im Haus. Einer für jede. Alle für die eine, die hier die Treppen herauf und herunter läuft, durch die Zimmer geht. Gar nicht mehr wirklich in die Spiegel schaut. Mehr Geist als Gestalt. Mehr Erinnerung als Gegenwart.

Nachts werde ich wach. Träume gerne. Träume viel.

Am Gartenzaun hängen verschiedenen Namen. Alles meine. Ernst gemeinte Identitäten.

Ich werde mich noch einmal hinlegen, denke ich. Es ist so viel zu tun. Wenn man anfängt es sein zu lassen, mit dem Hecke schneiden oder dem Rasen mähen, mit dem Aufräumen und Ausmisten, dann ist ganz plötzlich sehr sehr viel zu tun. Im Vorgarten und im Haus.

Ich fange damit an, dass ich mich kurz noch einmal ins Bett lege. Dann, am morgen, in ein oder zwei Stunden, aufstehen. Ich nehme mir vor,….

Ich werde davon träumen.

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© KSG 2025-01-16

Genres
Biografien
Stimmung
Hoffnungsvoll, Reflektierend, Traurig