Vokabular auf Elba

Sandro Kaspar

von Sandro Kaspar

Story

Ich will hier nicht über die herrliche Natur, die duftende Macchia, über die feinen Sandstrände, die Sonne und das Meer auf Elba sprechen. Ich will von etwas ganz anderem sprechen. Über etwas, das für Aussenstehende vielleicht töricht wirkt, für uns aber unvergesslich bleibt.

Wir, also unsere neun- und zwölfjährigen Söhne und ich, verbrachten einige Wochen im Sommer bei einem alten Weinbauer zuhinterst in einem engen Tal, das nur durch ein steiles Natursträsschen erreichbar war. Ein altes, solid aus Stein gebautes Haus mit Charme. Der Weinbauer hatte einen aufmerksamen Schäferhund, dem ein Ohr hinunterhing. Wir nannten ihn ‘Lampi-Ohr’. Ein Besucher meinte einmal, im Hinblick auf die Abgeschiedenheit des Ortes liebevoll zu uns: Ihr wohnt ja ‘bei den Räubern‘ hinten!

Die Besuche bei einem lieben alten Bündner Bekannten, der nicht weit weg in seinem Ferienhaus wohnte, mündeten stets in Tipps über Ausflugsmöglichkeiten auf der Insel. Dabei erwähnte er oft das Dorf Chiessi, das sich ganz im Westen der Insel hinter den Bergen befindet. Wohl deshalb sagte er jedesmal, wenn die Rede davon war, nicht einfach ‘Chiessi’ sondern ‘z’Chiessi hinge’ (in Chiessi hinten). Wir übernahmen diesen Ausdruck und sagten künftig innerhalb der Familie nur ‚z’Chiessi hinge‘.

In Portoferraio, der Hauptstadt der Insel, musste natürlich der Aufenthaltsort Napoleons besucht werden, ein spannender Name, der auch für die Jungen ein Begriff war. Beim Verlassen der Anlage musste ich wohl ein Verkehrsschild übersehen haben. Ich konnte nicht mehr zurück fahren und steuerte zum grossen Gaudi der Kinder mit meinem weich gefederten, hoppelndem Citroën Dyane ungewollt eine flache Treppe hinunter.

Der kürzeste Weg nach Hause ‘zu den Räubern’ führte über Procchio. Ein Engpass. Wegen des vielen Verkehr konnte dort nur, wenn überhaupt, im Schneckentempo gefahren werden, was für die Jungmannschaft langweilig war. Künftig nannten wir diese Stadt deshalb nur noch – nicht sehr salonfähig – ‘Schissprocchio’.

Und da war noch der Ort Marina di Campo. Irgendwie vergassen wir stets den vollen Namen. Marina di …? Deshalb hiess die Ortschaft für uns nur noch ‚Marina di Knüs‘. Keine Ahnung, wie wir auf diesen Ausdruck stiessen, es war eine plötzliche Eingebung.

Wenn wir innerhalb der Familie heute, nach über 40 Jahren, von den Ferien auf Elba sprechen, kommt uns unweigerlich das eigene Vokabular in den Sinn. Lampi-Ohr’, ‘Chiessi hinge’, ‘Schissprocchio’ und ‘Marina di Knüs’ – immer noch amüsieren wir uns köstlich dabei.

© Sandro Kaspar 2021-08-27

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