Voll schlank, Digga!

Stefanie Höring

von Stefanie Höring

Story

Hausübung in der Volksschule. Ich soll über meine Mama schreiben. Das Thema Elternhaus scheint meine Lehrerin brennend zu interessieren. Immerhin habe ich Papa beim letzten Familienportrait mit Cowboyhut und Pistole gemalt. Der Lehrerin ist unsere Familie generell suspekt. Wenn es darum geht, was die Eltern beruflich machen, zählen die Kinder traditionelle Berufe auf.

Nur ich sage: „Mein Papa ist Restaurator, meine Mama Hausfrau!“

Ein bisschen beneide ich die Kids, die sagen, dass der Papa Arzt ist, das lässt sich so viel leichter aussprechen und vor allem schreiben.

Schreiben finde ich auch damals schon toll. Genauso wie meine Mama. Also raucht der Stift und Satz reiht sich an Satz. Nicht ohne Stolz gebe ich viele Seiten ab. Mit pastellgrüner Tinte geschrieben. Anderssein fand ich immer schon reizvoll.

Das Heft wird auf meinen Platz gelegt. Ich blättere hektisch zu besagtem Aufsatz. Kein Fehler. Ich freue mich und blättere um. Doch, ein Fehler! “Meine Mama ist vollschlank”. Dieser Satz ist nun rot durchgestrichen. Ich kapiere es nicht. Meine Mama ist groß und vollschlank. Voll schlank. Ur schlank, wie wir Wiener*innen zu sagen pflegen. Wieso soll das nicht stimmen? Ich merke, wie ich fast ein wenig wütend werde. Ich gehe nach vorne zum Lehrerpult. Frau M. sieht mich fragend an. Ich blättere das Heft auf und halte es ihr unter die Lehrerinnennase. Stumm deute ich auf den durchgestrichenen Satz. Ich merke, wie mein Kopf langsam von unten anläuft wie eine Tomate in Ombre.

„Aber meine Mama ist vollschlank. Sie kennen Sie doch vom Elternsprechtag!“, sage ich trotzig. Ich bin kurz davor, aufzustampfen, so ungerecht finde ich das alles. Frau M. sieht vom Heft zu mir und wieder zurück. Sie erklärt mir wie einem kranken Tier, dass vollschlank gleichbedeutend mit mollig sei, was ich gar nicht einleuchtend finde. Als ich am nächsten Tag die Verbesserung abgebe, steht da: “Meine Mama ist voll schlank und mit Abstand die Größte”. Dafür gibt es einen Sticker. Na, eben!

Heute höre ich ganz andere Ausdrücke. Das sind oft die Momente, in denen ich mich alt fühle.

„Boomer!“, sagt ein Kind zu mir, weil man das aktuell so sagt.

„Ich bin kein Boomer!“, sage ich ein wenig trotzig und halte einen TED Talk über die Abstufungen der Generationen. Das Kind ist höchst unbeeindruckt.

Ich sitze als alte Schachtel in einer zweiten Klasse Gymnasium. Vier Mädchen. Es ist eine laute Klasse mit unheimlich viel Situationskomik und viel zu vielen Burschen. Auf diese Schultage freue ich mich immer besonders. Nur eines kapiere ich nicht: Wieso sagt D. zu T., der klein und sehr dünn ist, immer „Digga!“? Daheim recherchiere ich Jugendsprache und fühle mich schrecklich alt. Aus der in Hamburg üblichen Art ein ck wie ein gg auszusprechen, kommt das Wort, das ganz banal für Kumpel steht, egal wie es um den Bauchumfang bestellt ist. Wieder was gelernt. Nur: Wieso sagen sie nicht einfach „Vollschlanker!“?

© Stefanie Höring 2022-07-07

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