von Sarah Franke
Der Vollmond scheint so gigantisch zu sein wie meine Angst. Ich blicke ihn an, er hat ein ähnliches Muster wie der Marmortisch auf Oma Ernas Terrasse. Die Finger meiner linken Hand friemeln an Grashalmen herum. In mir blitzt und donnert es, und neben mir sitzt du. Unsere Rücken lehnen an ein Gartenhäuschen, raues Holz, die Farbe blättert. Eigentlich müsstest du frieren und ich zittere ein bisschen. Nein, ich bebe, denn in mir drin, da gewittert es.
Den Mond und uns trennen fast vierhunderttausend Kilometer. Ich dachte, so in etwa diese Entfernung liegt auch zwischen dir und mir. Doch wir sitzen im Gras. Beieinander. Es ist nass unter uns. Und düster um uns. Ich starre geradeaus, in die Dunkelheit. Und hoffe, es wird nicht so bald hell.
Denn in mir sind Blitze, gleißend-grell. Kannst du die sehen, wenn du mich anschaust? In meinem Bauch kämpft saurer Schnaps mit der Furcht. In meinem Kopf ist Morgentau. Wir schweigen, der Wind flüstert, nein das tut er nicht, denn das wäre kitschig. Du legst deinen Arm um mich. Ich schmiege mich an dich. Sacht. Vorsichtig. Als wärst du ein Blatt trockenes Laub, könntest zerbröseln, wenn ich nicht aufpasse.
Wir sind so gut befreundet, sagst du. Das findest du toll, sagst du. Wenn wir uns jetzt küssen würden, sagst du, würde das zwar nicht den Moment kaputtmachen, aber die ganze Freundschaft. Blitz. Donner. Ja, das mag stimmen, sage ich, und lege meinen Kopf auf deine Schulter. Eins zu null für den sauren Schnaps.
Ein paar Wochen später wirst du mich küssen. Auf dem Hügel beim Sportplatz hinter dem Schützenfestzelt. Im Hintergrund wummern Bässe, doch das Blutrauschen in meinen Ohren ist lauter. Ich werde mich in dich verlieben, so heftig, dass es mir davor graut.
Doch jetzt ist Mai. Der Marmor-Mond ist nah und du bist es auch. Ich kann neben dir blitzen und donnern und schweigen. Ist alles okay, alles ist gut. Meine Gewitterwolken lichten sich. Kann das sein, so einfach sein, einfach zu sein? Du lebst im Moment, ich will das auch.
Mit dir werde ich Sommergewitter genießen. Nicht nur eines, sondern viele, vor der Fensterscheibe und in mir drin. Ich werde lernen, dass jetzt Jetzt ist und Später wann anders und Morgen egal. Wir werden uns nah sein, zu nah. Du wirst fliehen, bevor du zerbröselt.
Und wenn der Sommer vorbei ist, dann sind wir es auch.
© Sarah Franke 2024-08-21