von Gabriele Leeb
Der Mond, der Volle, raubt mir meinen Schlaf mit seiner Helligkeit. Er blickt rücksichtslos in mein Fenster und ignoriert meine Bitte, seinen Blick von mir zu wenden und meinen Schlaf nicht zu stören. Er ist nun einmal ein Egoist der ärgsten Sorte und setzt immer seinen Willen durch. Es ist seine Aufgabe alle vier Wochen seine volle Pracht zu präsentieren ohne Rücksicht auf Verluste. Gut, ab und zu machen diese unverschämten Wolken dieses Unterfangen zunichte und setzten sich ganz einfach vor ihn, aber ansonsten zeigt er sich im hellsten Licht, in seiner vollen Größe.
Und ich liege wach und mein Kopf dröhnt. Er findet das ja recht amüsant und sein unverschämtes Grinsen lässt Ärger in mir hochkommen. Mein Gott, was für ein Macho! Kann ihn den niemand herunterholen von dort oben? Oder er könnte sich ja wenigstens etwas anziehen, etwas Schwarzes, Zudeckendes. Ich habe das Gefühl, dass er nun noch heller scheint, wirklich hell, enorm hell. Dieser Arsch!
Und ich, ich kann nichts anderes tun, außer warten, dass der Tag anbricht und mit seiner Helligkeit ihm den Wind aus seinen Segeln beziehungsweise seinem Vollmondgesicht nimmt. Endlich döse ich erschöpft ein, jedoch es ist nicht von langer Dauer. Nach einer Stunde fahre ich hoch und noch immer steht er da und schaut mich an. Er glaubt wirklich, er sei der Mittelpunkt der Welt, des ganzen Universums.
Ich hole mir mein Fernrohr. Ich muss ihn mir genauer betrachten. Eigentlich ist er wunderschön! Hat er mich jetzt auf seine Seite gezogen? Bin ich auf seine strahlenden Augen hereingefallen? Wie widerlich! Wie entsetzlich! Beinahe zärtlich sieht er mich an und seine Strahlkraft blendet mich, macht mich ein wenig blind für seine Unverschämtheit und ich empfinde so eine Art von Anteilnahme für ihn, fast schon Zuneigung.
Er lächelt mich wissend an und macht sich schön langsam aus dem Staub. Etwas verwirrt und unsicher falle ich endlich in den Schlaf und seine strahlenden Augen verfolgen mich sogar noch im Traum.
© Gabriele Leeb 2022-09-11