Vom Ende der Einsamkeit

Laura Bell

von Laura Bell

Story

19.12.2022, 17:30

Krank sein ist allein viel schlimmer.

Ich werfe ein weiteres vollgerotztes Taschentuch auf den Haufen neben dem vollen Mülleimer, den niemand ausleert, und hieve mich dann stöhnend aus dem Bett. Der Fußboden ist kalt unter meinen nackten Zehen. Ich tapse auf der Stelle umher und suche mit zusammengekniffenen Augen nach einem Paar Socken, von dem ich weiß, dass ich es gestern Abend ausgezogen und irgendwo hier fallengelassen habe. Endlich finde ich wenigstens eine auf halbem Weg zwischen Tür und Bett.

In der Küche trinke ich den letzten Schluck kalten Tee aus der Tasse auf der Anrichte und gieße mir dann erneut heißes Wasser auf den Teebeutel. Es war der Letzte, den ich im Vorratsschrank gefunden habe. Zurück im Bett knurrt mein Magen unangenehm laut, aber ich bin zu müde, um mir etwas zu kochen, also ziehe ich einfach die Decke über mich und kauere mich um die Wärmflasche, die mittlerweile nicht mehr warm ist, zusammen.

Ich bin immer gerne allein gewesen, aber wenn es keine Entscheidung mehr ist, dann wird es einsam. Nur noch für eine Person einkaufen, die Reste im Kühlschrank, die nicht mehr aufgegessen werden, die leere Kaffeetasse, die du nicht mehr jedes Mal auf dem Fensterbrett stehen lässt. Niemand, der einem die Haare aus der Stirn streicht, wenn man sich in die Kloschüssel übergibt.

Als es unerwartet an der Tür klingelt, rapple ich mich erneut auf und schlurfe, immer noch nur eine Socke an den Füßen und die Bettdecke fest um meinen Körper geschlungen, in den Flur.

„Stephan meinte, du kannst heute nicht kommen, weils dir nicht gut geht“, meint Luis verlegen, als ich die Tür aufmache und ihn verdutzt anschaue. Er streckt mir eine große Thermoskanne entgegen. „Ich habe vergessen, dass du Veganerin bist, also hab ich Hühnerbrühe gekocht und dann dachte ich jetzt ist eh schon zu spät, also kannst dus eigentlich auch essen.“

„Du siehts echt ziemlich beschissen aus“, fügt er hinzu, als ich zur Antwort nur zweimal laut in meine Armbeuge huste. Dann zwängt er sich an mir vorbei in die kleine Wohnung und wenig später sitzen wir, ein sicheres Stück auseinander, mit Schüsseln voller heißer Suppe in den Händen auf der Couch und schauen auf dem aufgeklappten Laptop auf meinem Schreibtisch Quentin Tarantino Filme. Irgendwann kann ich meine Augen kaum mehr offenhalten. Dann räumt Luis die leeren Teller zusammen und streift seine Jacke über.

„Ach, fast hätte ich es vergessen“, meint er an der Tür, als er sich gerade verabschieden will, „ich hab dir noch ein Buch mitgebracht.“ Er kramt in seinem Jutebeutel und streckt mir dann ein zerfleddertes Taschenbuch entgegen. „Das war Lexis Lieblingsbuch, also wahrscheinlich kennst du es schon, aber ich dachte vielleicht willst du es trotzdem haben.“

Etwas drückt schwer auf meine Brust und gegen mein Herz, als ich das Buch entgegennehme und die schwarzen Buchstaben auf dem weißen Umschlag lese. Ich kenne das Buch tatsächlich, es heißt: „Vom Ende der Einsamkeit.“

© Laura Bell 2022-08-21

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