Vom Fliegen

LillyRuth

von LillyRuth

Story

Seit ich denken kann, träume ich vom Fliegen.

Ich kreise wie ein Adler am Himmel. Fühle ich unendlich frei und glücklich. Meist passiert dann etwas. Entweder ich komme sehr nahe an eine Stromleitung heran oder streife ein Hochhaus mit meinen ausgebreiteten Flügeln. Das ist dann meist der Moment, in dem ich aufwache. Immer bleibt aber ein wohlig, warmes Gefühl, dem ich noch lange – eingehüllt in die warme Bettdecke – nachhänge. Mit der wunderbaren Gewissheit: “Ich bin wieder geflogen.” Wenn auch nur im Traum.

Im Vorjahr habe ich mich hier bei story.one angemeldet – seither sind wundersame Dinge passiert. Ich bekam unglaublich berührende Rückmeldungen. Viele habe ich mir ausgedruckt, um sie zu bewahren und sie an schlechten Tagen wieder hervorzuholen. Ich lernte viele gleichgesinnte Schreib-Freunde kennen und war und bin noch immer ergriffen von der Herzenswärme dieser Menschen, deren Lebenslinien sich mit meinen kreuzten. Ich veröffentlichte über story.one zwei Bücher, durfte bei mehreren als Co-Autorin mitschreiben, saß als “Autorin” vor Publikum und durfte auch bei einer Radio-Sendung zum Thema Schreiben Rede und Antwort stehen. Das alles fühlte sich oft wie meine Flug-Träume an. Wunderschön. Und diesmal sogar real.

Dann passierte etwas furchtbar Trauriges und im Zuge dieser Tragödie wurden mir die Flügel gestutzt. Eigentlich habe ich das sogar selbst getan. “Privates soll privat bleiben”, trichterte ich mir ein und erlegte mir eine Zensur auf. Ich schrieb zwar weiter. Täglich und quantitativ viel, um an der aufkommenden Sprachlosigkeit nicht zu ersticken. Doch nur für mich und an Menschen, die nicht mehr leben.

Genau in dieser Zeit, in der ich erwog, mit dem öffentlichen Schreiben aufzuhören, erreichten mich zwei Postsendungen. Eine aus Deutschland und eine aus Österreich. Beide von lieb gewonnenen story.one-Wegbegleiterinnen. Die Worte dieser beiden Frauen, die sich – physisch weit von mir entfernt – in ihrem jeweiligen Zuhause hingesetzt hatten, sich Stift und Papier nahmen und mir so unglaublich tiefgehende und ermutigende Zeilen schrieben, treiben mir beim Gedanken daran noch immer fast die Tränen in die Augen. Beide haben auch für mich etwas gemalt. Sie haben es vermutlich gespürt, dass ihre Worte und ihre Bilder mir gut tun würden und alleine diese Tatsache lässt mich neuerdings an übersinnliche Dinge glauben.

Was soll man sagen? Es fehlen einem fast die Worte. Doch, nein! Sie fehlen nicht! Ganz und gar nicht. Ich schreibe weiter. Hier. Und immer, wenn mir danach ist und ich diese Form des kreativen Austausches brauche. Weil ich es liebe. Weil es von innen kommt und weil es Ausdruck meines Wesens ist. Vögel müssen frei sein, ihre Flügel ausbreiten und am Himmel schweben. Sie grübeln nicht darüber nach, ob es anderen gefällt, dass sie fliegen. Sie tun es einfach.

© LillyRuth 2020-07-09

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