Vom Guten Hirten

Klaus Schedler

von Klaus Schedler

Story

Früher dachte ich beim Hirtenbild daran, wie ich als junger Mann im Münsterland eine Kindergottesdienstgruppe geleitet habe. Wenn ein Kind Geburtstag hatte, durfte es sich ein Lied aus dem Gesangbuch wünschen. Welches Lied? Na klar doch: Fast immer wurde „Weil ich Jesu Schäflein bin“ gewählt. Ich muss gestehen, dass mir dieses Liedchen nach einiger Zeit ziemlich auf den Keks gegangen ist, weil es damit ein kitschig-süßliches Klischee befeuert.

Eigentlich merkwürdig, wie sich das Bild des Guten Hirten erhalten hat, denn längst gibt es zumindest bei uns so gut wie keine Schäfer mehr. Und dennoch ist es allgegenwärtig. Nehmen wir beispielsweise die Fernsehreklame für das Beruhigungs- und Schlafmittel Baldripraran®: Ein gezeichneter Schäfer der milde lächelnd inmitten seiner Schafherde sein Kinn auf einen Hirtenstab stützt. Ganz offensichtlich wird so Ruhe und Frieden suggeriert.

Meine letzten realen Hirten habe ich vor etwa 15 Jahren in Rumänien gesehen. Wilde Gesellen, die angeblich wochenlang in Unterständen in den Bergen hausten und denen die Einheimischen nachsagten, dass sie gern raufen und das Messer locker sitzen haben. Mein Bezug zum Guten Hirten war also – um es vorsichtig zu sagen – ziemlich lädiert.

Und dann machte ich eine vollkommen andere Erfahrung. Mit 60 hatte ich berufsbegleitend ein interreligiöses Uni-Studium begonnen. Teil davon war eine Woche im Kloster Niederalteich, wo man die Gottesdienste nach der byzantinischen Liturgie praktiziert. Unmittelbar vorher hatte ich einen Gehörsturz erlitten und war also immer noch recht wackelig auf den Beinen. Es war Jänner und jeden Morgen um 5:30 musste ich im Dunkeln über den Hof in die Nikolaus-Kapelle: Ohne Frühstück, nicht einmal Kaffee und vollkommen verschlafen, fast nur Kerzenlicht, ohne Sitzbänke. Drinnen konzentrierte ich mich, die Ikonostase betrachtend und in mir selbst ruhend, bis die Liturgie begann.

Und dort geschah es: In der langdauernden Stille fiel mir nach und nach der Bach-Satz „Schafe können sicher weiden“ aus der weltlichen Kantate „Was mir behagt, ist muntre Jagd“ ein. Hier der Wortlaut:

„Schafe können sicher weiden, / wo ein guter Hirte wacht.Wo Regenten wohl regieren, / kann man Ruh und Frieden spüren / Und was Länder glücklich macht.“

Stets erfasste mich die kleine Melodie voll und ganz. Mich, der ich doch dieses Bild des Guten Hirten für so kitschig gehalten habe und die im Text zum Ausdruck gebrachte Verehrung eines weisen Fürsten doch höchst verdächtig anmutet. Dennoch. Die Musik war einfach in mir und hat mich mit Ruhe und Gelassenheit erfüllt.

Und so hab ich es dann – so wie es war – auch für mich weiter gelten lassen, denn der Friede Gottes, der höher ist als alle Vernunft, der bewahrt unsere Herzen und Sinne in Jesus Christus.

© Klaus Schedler 2022-05-12