von Silvia Peiker
Alle Jahre wieder. Zuerst übte ich die Melodie des vertrauten Weihnachtsliedes mit der rechten Hand, um dann mit den Fingern der linken Hand die Grundmelodie harmonisch zu begleiten. Da das Lied ja kein Vorzeichen erschwerte, konnte ich die einfache Komposition rasch auch ohne Notenblatt spielen. Meine Augen leuchteten, wenn ich daran dachte, dass ich die fröhlichen Töne der Partitur am Heiligen Abend auf dem schwarzen Stutzflügel im Schlafzimmer meiner Großeltern, das zum Schlafen nur von Gästen benutzt wurde, vorspielen würde.
Die stillste Zeit des Jahres ist für mich stets mit Musik verbunden, anfänglich mit den hellen Tönen der Blockflöte, auf der ich mit zittrigen Fingern Kommet ihr Hirten in der kühlen Aula der kleinen Volksschule einem erwartungsvollen Publikum darbot. Später begann ich die Tastatur des Klaviers, meines Lieblingsinstrumentes, zu erforschen, worüber diejenigen erleichtert waren, die dem pfeifenden Sound der Flöte nur wenig abgewinnen konnten.
Die erste Kerze hatten wir schon am Adventkranz entzündet, nun machten wir uns daran, mit mehr oder weniger krakeligen Buchstaben, meine Cousine Petra ist ja zwei Jahre jünger als ich, einen Brief ans Christkind zu schreiben, den wir dann mit stiller Vorfreude auf die Fensterbank legten.
Beide wünschten wir uns eine Puppe, die mithilfe einer eingelegten kleinen Schallplatte sprechen kann. So ein Wunderwerk der Technik hatten wir mit unserer Oma in einem großen Kaufhaus auf der Mariahilfer Straße entdeckt.
Bis zum Ende der Volksschulzeit fuhren wir im Advent nach Wien, um dort mit offenen Mündern in der mit reichlich goldenen und silbernen Sternen, Weihnachtsgirlanden und Christbaumkugeln geschmückten Spielwarenabteilung jene wunderbaren Dinge, die damals ein Kinderherz höher schlagen ließen, zu bestaunen. Eingekauft haben wir außer heißen Maroni nichts, unseren Herzenswunsch würde ja das Christkind mit seinen himmlischen Helfern, den Engeln, bringen.
Leider musste meine Mutter kurz vor Weihnachten infolge einer akuten Venenentzündung ins Krankenhaus und mein Vater war auf Dienstreise im Russland. So oblag es meiner lieben Oma, während ich mit Petra bei den anderen Großeltern spielte, den Christbaum zu schmücken und die Geschenke darunterzulegen.
Am Abend, als das Glöckchen leise bimmelte und das Christkind endlich fortgeflogen war, erstrahlten der Tannenbaum und die blonden Löckchen der Puppe im hellen Kerzenschein. Trotzdem flossen meine Tränen reichlich, denn die Puppe konnte nicht sprechen und ich vermisste meine Eltern so sehr. Da musste auch Oma weinen. Denn es war ihre Tochter, die den Heiligen Abend in einem Spitalsbett fern der Familie verbringen musste, und sie hatte sich doch so viel Mühe gegeben. Noch heute denke ich mit Trauer im Herzen an jenen Weihnachtsabend, fühle mich schuldig, weil ich das Fest durch meine Tränen verdorben hatte. Ich hoffe, dass mir meine Großmutter im Himmel verzeihen kann.
© Silvia Peiker 2020-12-01