Vom Loslassen

Stefanie Bleier

von Stefanie Bleier

Story

Es bricht mir das Herz, wenn ich ein weinendes Kind im Kindergarten zurücklassen muss. Auch wenn ich mittlerweile schon ein paar Mal ein Erlebnis dieser Art hatte, kostet es mich immer wieder enorm viel Kraft und Überwindung, einfach wegzugehen. Mein Körper, der darauf trainiert ist, so schnell wie möglich zu meinen weinenden Kindern zu gelangen, muss jetzt genau das Gegenteil tun. Augen zu, Ohren zu, nach Hause gehen.

Heute war der erste Kindergartentag der Zwillinge nach den Sommerferien. Die Ferien waren wirklich lang. Der Kindergarten, die Freundinnen und Freunde sowie die Pädagoginnen gerieten in Vergessenheit. Zu beschäftigt waren meine beiden Jungs und es kam keine Langeweile auf.

Das Haus verließen die beiden heute Morgen schon etwas zögerlich, in der Garderobe lief bei Zwilling Nummer eins noch alles wie am Schnürchen, während Zwilling Nummer zwei kläglich zu weinen anfing und sich weigerte, Jacke und Schuhe auszuziehen.

Nach ein paar Minuten vergeblichen guten Zuredens war für mich klar, dass wir so nicht weiterkommen würden. Also bat ich die Kindergartenpädagogin sich Zwilling Nummer zwei anzunehmen und ich ging aus der Garderobe hinaus. Einfach so. Ich kam mir so kaltherzig vor!

Im Eingangsbereich blieb ich stehen, blickte interessiert auf die Pinnwand und tat so, als würde ich mir die Namenslisten der jeweiligen Kindergartengruppen durchlesen. In Wahrheit wollte ich noch kurz hören, ob das Weinen nachließe. Was es auch prompt tat. Also ging ich nach Hause. Nicht vollkommen beruhigt, aber zumindest ein bisschen.

Ich weiß, dass die Zwillinge in ihrer Kindergartengruppe sehr gut aufgehoben sind und vertraue darauf, dass mich unsere Pädagogin anruft, wenn sich einer der beiden Burschen wirklich nicht beruhigen sollte. Vielleicht kommt es mir bei diesem Vertrauen auch zugute, dass ich kurz in die andere Seite hineinschnuppern durfte. Vor einigen Jahren absolvierte ich einen Probearbeitstag in einer Krabbelstube. Die Arbeit gefiel mir sehr gut, den Job habe ich damals allerdings leider nicht bekommen. Nie vergessen werde ich, wie mich die Leiterin der Krabbelstube beim Vorstellungsgespräch kritisch musterte und mich anschließend fragte, ob ich denn schon einmal Windeln gewechselt hätte. Damals musste ich die Frage verneinen, nach tausenden gewechselten Windeln bei meinen eigenen drei Kindern, kann ich heute behaupten, dass ich darin ein echter Profi geworden bin.

Letztendlich hat es den Zwillingen heute dann doch wieder sehr gut im Kindergarten gefallen. Beim Abholen liefen sie fröhlich im Garten umher. Nun schlummern sie friedlich in ihren Betten und sammeln Kräfte für den nächsten aufregenden Tag im Kindergarten. Hoffentlich ohne Tränen und Drama am Morgen!

© Stefanie Bleier 2021-09-06

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Biografien