Vom schwankenden Boden Berlins

Marie-Theres Muxel

von Marie-Theres Muxel

Story

Mit leichtem GepĂ€ck und schwerem Herzen sitze ich in einem Fernverkehrsbus von Wien nach Berlin. Hinter sorgfĂ€ltig geputzten Scheiben wandelt sich die Stadt langsam in eine grĂŒne, schwer zu ertragende Idylle. Eine endlose Einöde, auf deren leeren Feldern sich meine Gedanken fein sĂ€uberlich nebeneinander aufreihen, wie an einer WĂ€scheleine. Ein zynischer Streich des Schicksals. Immerhin bin ich unterwegs in Europas schlafloseste Stadt um genau diesen zu entkommen. Meinem Vorhaben zum Trotz inszenieren sich meine unbequemsten Emotionen in einem neunstĂŒndigen, schwerfĂ€lligen TheaterstĂŒck, bis ich mich endlich und kraftlos ins rege Treiben der deutschen Hauptstadt retten kann.

Heute wird Berlin seinem Ruf gerecht und empfĂ€ngt mich eher ehrlich, als herzlich. Bei meinem letzten Besuch habe ich am Rummelsburger See gewohnt. In malerischer Kulisse. Diesmal beziehe ich eine Unterkunft mit Aussicht auf Beton statt Blau. Meiner Stimmung entsprechend. Diesmal tanze ich auch nicht leichtfĂŒĂŸig durch die Stadt, sondern trage einen schweren Kloß in meinem Hals durch ihre Gassen in mein Airbnb. Es ist gemĂŒtlich. Aber einsam. Ich habe es gebucht, als die Welt noch in Ordnung war. Vor meiner ersten Panikattacke. Bevor ich schlagartig verlernt habe alleine zu sein und in der Angst vor einer neuerlichen Attacke eine unliebsame Begleiterin fand.

Nach einem Treffen mit einer Freundin spuckt mich die Straßenbahn wortlos aus, wo sie die Touristen immer loswird – am Brandenburger Tor. Ich erfĂŒlle das Klischee und folge dem blauen Punkt auf der Straßenkarte meines Handys in Richtung Museumsinsel. Das ist das Stichwort fĂŒr die Angst, die plötzlich neben mir her geht, um mir zu erzĂ€hlen wie alleine ich hier sei und dass ich mit der Panik nur schwer fertig werden wĂŒrde, wenn sie jetzt auftauchte. Weil ich es nicht besser weiß, höre ich ihr ergeben zu, bis ihre Warnungen den Boden unter meinen FĂŒĂŸen scheinbar ins Wanken bringen und ich drohe den Halt zu verlieren. Ich flĂŒchte mich in den nahe gelegenen Berliner Dom. Erst in der einsamen Stille des historischen GemĂ€uers kann ich durchatmen. Mich setzen. Heimlich ein paar TrĂ€nen vergießen. Mich fragen wie es weiter gehen soll. Mit dieser neuen, grausamen Furcht die Kontrolle zu verlieren.

Antworten finde ich dort keine. Aber Ruhe. Und neuen Mut Innezuhalten.

Es ist schon lustig, denke ich, als mein Blick durch den barocken Kirchenraum schweift, dass ich der Angst nicht wie geplant in der Menschenmenge eines lauten Clubs entkommen bin, sondern in der völligen Stille. Ein bisschen so, als wĂŒrde die Stadt mich ermutigen zur Ruhe zu kommen, statt weiter vor dieser zu flĂŒchten. Mir selbst wieder zu vertrauen und darauf, dass ich in stillen Momenten alleine nicht in die Arme der Panik fallen werde, sondern nicht weiter als auf den Boden Berlins.

Aufgefangen hat mich die Stadt nie. Eher geschubst. Und doch hat Berlin mir wieder Halt gegeben. Auf seine Art. Auf ehrliche Weise. Auf berlinerisch.

© Marie-Theres Muxel 2022-01-30

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