Hilflos sitze ich am Bett meiner Tochter, innerlich aufgewühlt, kraft- und ratlos. Was soll nun, was muss geschehen? Kein Stein will mehr auf den anderen passen. „Ganz klein mit Hut“ liegt meine Tochter im Bett, seit Tagen hat sie fast 41 Grad Fieber. Tapfer versucht sie mit ihrer frechen Mütze cool zu bleiben. Erschrecken, Verwunderung, Angst verraten ihre Blicke. Eben haben uns die behandelnden Ärzte mitgeteilt: Verdacht auf Myokarditis – Herzmuskelentzündung. Ein Schock, von dem wir uns beide langsam erholen müssen, weiß ich doch aus eigener leiblicher Erfahrung, was die Diagnose bedeuten kann.
Meine Tochter war gerade von einem ökologischen Schildkröten-Schutz-Projekt aus Brasilien zurückgekehrt. Nach einer eitrigen Mandelentzündung entwickelte sich das Fieber, täglich, unaufhaltsam, eine Woche lang. Keine Antibiotika zeigten Wirkung. Kurzfristige Entfieberung konnte nur durch fiebersenkende Mittel und Wadenwickel erzielt werden; eine nachhaltige und deutliche Fiebersenkung war dann erst im Krankenhaus durch zusätzliches Cortison in hohen Dosen zu erreichen.
Wie habe ich meine Tochter bewundert, wie sie tapfer kämpfend diese Fieberschübe mit beängstigendem Schüttelfrost und Schwitzen bei der Entfieberung durchgehalten hat, manchmal vier-, fünfmal am Tag. Dieses Leiden und die eigene Hilflosigkeit waren zum Weinen. Als Vater konnte ich die nötige ärztliche Distanz nur schwer, im Grunde gar nicht aufbringen. Ärzte des Vertrauens und vor allem auch das wunderbare Krankenschwestern-Krankenpfleger-Team der Berliner Virchow-Klinik haben die Behandlung mit Empathie, Gewissenhaftigkeit und Erfolg übernommen.
Die beginnende Herzmuskelentzündung wurde erfolgreich gestoppt, die Krankheit geheilt und meine Tochter zufrieden entlassen. Welch ein wahnsinniges Glücksgefühl, meine Seele schlug Purzelbäume. Dieses Gefühl lässt sich kaum in richtige Worte fassen. Als Arzt schon, als Vater gar nicht. Ein gigantischer Stein fiel mir vom Herzen. Hatte ich ja meinen geliebten Bruder nach einer schweren Krankheit bereits mit 44 Jahren verloren und miterlebt, wie meine Mutter und mein Vater sozusagen implodierten, unrettbar in sich zusammenfielen. Kein Tost, kein Zuspruch konnte helfen, sie verabschiedeten sich beide nach und nach in die Wortlosigkeit. Es ist wirklich tragisch, wenn Kinder sich vor ihren Eltern auf Erden verabschieden. Welch eine Gnade, wenn dem nicht so ist. Ich bin glückselig!
© Dietrich Grönemeyer 2021-02-12