von JanGroenhain
Kürzlich war ich mit meinem Auto beim Service. Neue Wischer waren fällig, damit ich wieder den Durchblick habe. Den Fußboden zu Hause halte ich einigermaßen sauber und wische ihn deswegen- in der Regel mäßig und nicht regelmäßig. Beim Wischen von Staub bin ich nicht übereifrig, das gebe ich zu. Da kommt die Küchenrolle mit dem Wisch-und-weg-Effekt häufiger zum Einsatz. Wenn ich mich körperlich anstrengen muss, kann es passieren, dass ich auch wischen muss- den Schweiß von der Stirn.
Ich messe mir somit eine gewisse Wischkompetenz zu. Inz«wischen»bin ich im Zweifel. Als ich neulich so z«wischen»durch im Café war, habe ich etliche Wischmeister gesehen. Die wischten permanent auf ihrem Handy, ignorierten ihr Gegenüber, er«wischten»daz«wischen» höchstens einen Schluck aus der Kaffeetasse. In einem Zugabteil konnte ich Ähnliches beobachten. Nur bei einem Z«wischen»stopp wurde der Blick vom digitalen Lebensgefährten z«wischen»zeitlich abgewendet. Mit solchen Wischfertigkeiten kann ich nur z«wischen»durch mithalten.
Auch im Wartezimmer beim Arzt konnte ich dem Wischen nicht ent«wischen» und eine hybride, eine ver«wischte» Variante beobachten: Wischen am Smartphone und Blättern in einer Zeitschrift, und das gleichzeitig. Wischblättern also, das erfordert Geschick. Rein haptisch hat ein Handy ja nicht viel zu bieten, es ist einfach zu glatt, gibt kein Gefühlserlebnis. Gedrucktes auf Papier hat da mehr Charakter. Das Umblättern ist halt anstrengender als das Wischen. Der Wischmania entkomme jedoch auch ich nicht. Dennoch blättere ich liebend gerne gleichermaßen in Zeitungen wie in Büchern.
Leicht panisch hatte ich kürzlich gemeint, das Wort „blättern“ würde in unserer modernen Wischzeit bald aussterben. Doch beim Durch«blättern» meiner Gedanken, während ich mich vor dem Duschgang ent«blätterte», fiel mir ein, dass die Farbe vom Gartenzaun schon ab«blätterte». Und dass es am Abend «Blätter»teigtaschen zum Vernaschen geben würde und ich Tags darauf in der Autowerkstatt wieder einige Scheine hin«blättern» würde müssen. Vor allem: Ich werde auch morgen und übermorgen Seiten in Büchern um«blättern». Ich war beruhigt. Blättern wird bleiben!
Nach dem Blättern folgt der Genuss des Lesens. Das analoge Lesen hat einfach mehr Charakter als das digitale. Es riecht anders, wirkt entschleunigend und ist so vielfältig, wie die Welt nur sein kann. Egal ob beim Vor-, Ein-, Mit-, Ab- oder Nach«lesen». Auch viele Nepa«lesen» gelten als be«lesen».Ich mag gerne Handver«lesen»es aus dem kleinen Laden oder das Endprodukt des Wein«lesen»s. Lediglich dem Karten«lesen» stehe ich skeptisch gegenüber. Also: Auch das Lesen wird bleiben!
Die Mutter meiner Partnerin ist 89, geistig fit und rege im Kopf. Mit dem Wischen jedoch geht nicht mehr viel. Weder den Staub und schon gar nicht am Handy. Mit dem Blättern und Lesen jedoch schon. Jede Woche ein Buch und täglich die Zeitung. Gerne studiert sie da die Todesanzeigen.
© JanGroenhain 2021-11-12